Zwischen Ernüchterung und Chance: Digitalisierung im Personalwesen

 Digitalisierungsthemen spielen seit einigen Jahren auch im Recruiting eine zentrale Rolle. Nach gemachten Erfahrungen können Unternehmen und Kandidaten ein Resümee in Sachen Digitalisierung ziehen – und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wo Unternehmen noch planen, wie Veränderungen umgesetzt werden können, fordern Kandidaten diese Veränderungen jetzt und heute. Für beide Seiten steht fest: Durch die Digitalisierung wird sich die zukünftige Arbeit stark verändern. So sind Recruiter sicher, dass sich fast die Hälfte aller Jobprofile durch die Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren deutlich verändern werden. Zu diesem und anderen Ergebnissen kommt die 18. "Recruiting Trends"* Studie des Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universitäten Bamberg und Erlangen-Nürnberg sowie des Karriereportals Monster.

Digitalisierung: Der Status Quo

Im Vergleich zu Zahlen aus der Vergangenheit, hat sich besonders die Wahrnehmung des Mehrwerts der IT in Recruiting-Fragen verändert. Gaben die Befragten vor zehn Jahren an, die IT würde im Personalwesen effektiv eingesetzt, sehen sie das Thema heute weniger positiv: 2020 halten nur noch knapp 21 Prozent den IT-Einsatz im Personalmarketing insgesamt für effektiv, 2010 waren es noch 45 Prozent. Dabei werden verschiedene Maßnahmen unterschiedlich bewertet: So gaben vier von zehn Unternehmen an, dass die genutzten Internet-Stellenanzeigen und die eigene Karrierewebsite effektiv sind. Drei von zehn Unternehmen berichten von einem effektivem Einsatz ihres Bewerbermanagementsystems. Allerdings zeichnen die Befragten ein durchaus optimistisches Bild für die Zukunft. Laut ihrer Prognose wird der Status Quo in zehn Jahren um Klassen besser sein – 90 Prozent der Unternehmen prognostizieren einen effektiven Einsatz ihrer Karrierewebsite, ihres Bewerbermanagementsystems und der IT im Personalwesen.

"Viele Unternehmen sind in einem digitalen Tal der Tränen gefangen und stellen fest, es gibt zu wenig und zu schlechte IT im eigenen Haus – und es war und wird wieder besser. Wir haben ein 7-stufiges Reifegradmodell für HR-Digitalisierung entwickelt, das die deutschen Unternehmen aktuell bei 4, also in der Mitte, zeigt. Das bedeutet, es gibt einigermaßen kontrollierbare Prozesse, starke Kosten-, Leistungsschwankungen und eine stetige Suche nach Verbesserungspotentialen. Die nächsten Schritte müssen dann u.a. objektive, quantitativere Ziele und Technochange-Management sein", sagt Prof. Dr. Tim Weitzel, Studienleiter und Professor am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationssysteme in Dienstleistungsbereichen, der Universität Bamberg. "Die Digitalisierungs-Champions, die einen besseren Digitalisierungs-Score haben, sind schon weiter und haben signifikant bessere Bewerbungsprozesse, effektiveres Active Sourcing, besseren Social-Media-Einsatz und einen besseren Employer Brand. Interessanterweise legen Digitalisierungs-Vorreiter aber auch mehr Wert auf gutes Arbeitsklima und nehmen auch die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter wichtiger."

Damit aus einer Prognose Wirklichkeit wird, gibt es in den Unternehmen für alle Beteiligten also noch einiges zu tun. Nach den Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter befragt, schätzten nur vier von zehn Top-1.000-Unternehmen ihre Mitarbeiter als gut vorbereitet auf die digitale Transformation und damit verbundene Veränderungen ein. Mehr noch: Unternehmen glauben, dass ihre Mitarbeiter die Transformation bremsen – eben, weil sie nicht gut genug vorbereitet oder nicht kompetent genug sind. Die Kandidaten sehen das ähnlich: Vier von zehn glauben, sie sind auf die digitale Transformation gut vorbereitet.

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Zentrale Baustelle ist der Bewerbungsprozess – Unternehmen vs. Kandidaten

Zentrale Bedeutung nimmt in Digitalisierungsfragen der Bewerbungsprozess ein. Ob Online-Bewerbung, Bewerbermanagementsystem, Karriereseite oder Job-Alert – allesamt positive Veränderungen des digitalen Zeitalters. Dabei hat die Digitalisierung des Bewerbungsprozesses, also die Automatisierung der einzelnen Phasen des Bewerbungsprozesses (z. B. Veröffentlichung von Werbe- und Stellenanzeigen, Active Sourcing oder (Vor-)Auswahl von Kandidaten), Vorteile für Unternehmen und Kandidat. So gestaltet sich auf Unternehmensseite die Besetzung von offenen Stellen einfacher und auf Kandidatenseite gestaltet sich die Jobsuche schneller, passgenauer und fairer. Die Zahlen bestätigen das: Rund 80 Prozent der Unternehmen sind der Meinung, dass durch die Digitalisierung des Bewerbungsprozesses offene Stellen schneller besetzt werden können.

Unterschiedlicher Meinung sind die Befragten in Sachen Fairness. 40 Prozent der Unternehmen halten digitale Prozesse für fairer, in IT-Unternehmen sind es sogar 74 Prozent. Kandidaten sind weniger euphorisch. Nur ein Fünftel der Befragten glaubt, dass sie durch die Digitalisierung des Bewerbungsprozesses fairer behandelt würden. Genau so unterschiedlich nehmen Unternehmen und Kandidaten automatisierte Vorauswahl wahr. Rund 85 Prozent der Unternehmen glaubt, der Prozess würde so beschleunigt – schnelleres Feedback kommt aber nur laut 45 Prozent der Kandidaten. Weiter gibt jedes sechste Unternehmen an, dass automatisierte Vorauswahl den Prozess diskriminierungsfreier macht. Das erleben die Kandidaten nur zu 36 Prozent so.

"Die Ergebnisse zeigen: Der Vergleich zwischen Unternehmen und Bewerbern hinkt. Das liegt daran, dass Unternehmen die Veränderung durch den Einsatz von Tools im Recruiting tatsächlich sehen und messen können. Die Kandidaten müssen währenddessen quasi darauf vertrauen, dass sich die Dinge tatsächlich verändern. Ein klares Ungleichgewicht," erklärt Steffen Günder, Vertriebsleiter bei Monster Worldwide Deutschland.

Eine weitere Neuerung im Bewerbungsprozess, sind Chat Bots. Aber auch diese technischen Helfer stoßen nicht überall auf Gegenliebe. In den Top-1000-Unternehmen setzt HR zunehmend auf den Einsatz von Bots, die Befragten glauben an den Mehrwert. 90 Prozent sehen ein riesiges Zukunftspotenzial der Technologie, rund drei Prozent arbeiten bereits jetzt mit Chat Bots. Die Kandidaten sind deutlich weniger begeistert und nur drei von 10 Kandidaten glauben, dass ihre Bewerbungen in Zukunft von einem Bot abgewickelt werden. Vier von 10 Kandidaten glauben, dass der Einsatz von Chat Bots die Bewerbung erleichtert, drei von 10 halten eine aktive Unterstützung durch einen Bot für möglich – im Vergleich zu 60 Prozent der Befragten in den Unternehmen. Erwartungsgemäß sehen es dabei junge Kandidaten weniger kritisch als ältere.

Im Zwiespalt: Die Gen Z sieht Chancen und Risiken der Digitalisierung

Insgesamt lassen sich zwischen den Generationen Unterschiede ausmachen. Auffällig ist dabei, dass besonders die Technik-affine Generation Z auch ausgeprägte Ängste mit der zunehmenden Digitalisierung verbindet. Vier von zehn Kandidaten dieser Generation gaben an, Angst davor zu haben, dass die zunehmende Digitalisierung in Bewerbungen sie überfordern könnte. Unter den Babyboomern sind es nur 27 Prozent. Die Kandidaten der GenZ sehen zudem Technik-affinere Kandidaten als starke Konkurrenz (40 Prozent).

Auch die Frage nach Fairness und Diskriminierung im Bewerbungsprozess bewegt die Generationen. Die Fragegestellung wurde vertieft – nicht ob eine KI besser auswertet, sondern wo die Unterschiede und Chancen liegen, wird thematisiert. Die Generationen sind sich allerdings recht einig: Sie haben Angst vor einer unfairen Bewertung, wenn im Bewerbungsprozess KI-basiert eine (Vor-)Auswahl getroffen wird.

Zukunft der Arbeit: Kandidaten sind schon angekommen

Die Ergebnisse der Studie belegen aufs Neue: Wunsch und Wirklichkeit liegen in Digitalisierungsfragen im Personalwesen weiterhin recht weit auseinander. Zusätzlich nehmen Kandidaten und Unternehmen die Situation sehr unterschiedlich wahr. Für beide Seiten gilt, dass sich Jobprofile, aber auch die Art, wie wir arbeiten, immer weiter verändern. Die Zukunft der Arbeit bedeutet für 42 Prozent der Unternehmen agiles, flexibles Arbeiten. Hier stimmen aber nur sechs Prozent der Kandidaten zu – für sie sind solche Themen keine Zukunftsmusik, sie wollen jetzt eine Veränderung und neue Standards.

"Die Zukunft der Arbeit ist für Unternehmen eine Welt voller agiler, flexibler und selbstbestimmter Arbeit. Die Kandidaten erwarten schon lange eine gute Work-Life-Balance und verbinden mit der Zukunft eigentlich nur Digitalisierung und Automatisierung. Vor allem die Jüngeren haben Angst vor Überforderung und fürchten in allen Jobbereichen, von technikaffinen Kollegen abgehängt zu werden," so Prof. Dr. Weitzel. "Unternehmen wie Kandidaten sollten sich klar machen, dass Fortschritt schon immer dazu geführt hat, dass alte Jobs nicht in erster Linie verschwinden, sondern sich verändern und zusätzliche neue Jobs entstehen. Das bedeutet für beide Seiten Veränderung. Das ist lästig, aber auch eine Chance, Gutes noch besser zu machen. Daher sehen eigentlich alle Lernfähigkeit und Lernwilligkeit als die wichtigsten Fähigkeiten – heute und in Zukunft." 

Pressemitteilung