Ich erinnere mich noch gut an eine Recruiting-Starterin, die vor längerer Zeit voller Energie bei uns angefangen hat. Sie hatte ein passendes Studium, erste Praxiserfahrung und war hochmotiviert. Perfekte Voraussetzungen, mit etwas Briefing kann sie loslegen – dachten wir.
Doch nach ein paar Wochen sah die Realität anders aus: Sie tat sich mit Bewerber-Bewertungen schwer, war unsicher in Gesprächen mit Hiring Managern, verhaspelte sich bei der Bewerberkommunikation und verlor zunehmend das Vertrauen in ihre eigene Rolle. Sie hatte Potenzial, aber es fehlte ihr an Orientierung, Struktur und dem methodischen Handwerkszeug. Das war uns eine Lehre und wir fingen an, ein Onboarding mit strukturierter Einarbeitung und unterstützt durch ein Recruiting-Training einzuführen und immer weiter zu optimieren. So wurde das Onboarding deutlich professioneller, wir kamen schneller ans Ziel und auch die Zufriedenheit bei den Recruiting-Startern stieg.
Warum viele Unternehmen trotzdem auf eine strukturierte Einarbeitung verzichten, welche Probleme das nach sich zieht – und vor allem, wie du es besser machst, erfährst du in diesem Beitrag.
Warum Startschwierigkeiten im Recruiting keine Seltenheit sind
Jeder Recruiting-Starter soll möglichst schnell produktiv sein – das ist der Wunsch vieler Unternehmen. Die Realität? Viele Neueinsteiger sitzen ratlos vor ihren ersten Stellenausschreibungen, kämpfen mit Hiring Managern und verlieren potenzielle Talente, bevor sie überhaupt warmgelaufen sind. Und auch frisch gebackene Führungskräfte/Hiring Manager stehen oft vor ihren ersten Neueinstellungen und fragen sich: Wie gehe ich jetzt vor, wie führe ich Gespräche und bewerte diese und wie verhalte ich mich richtig gegenüber Bewerbenden?
Die Unsicherheit ist groß, oft wird improvisiert, Fehler passieren, und am Ende landen gute Kandidaten woanders. Und der Frust ist groß.
Warum ist das so?
Häufig herrscht die Annahme vor, dass Recruiting-Starter doch einen passenden Studienabschluss und i.d.R. erste einschlägige Praxis-Erfahrungen aus Praktika oder Werkstudierenden-Tätigkeiten mitbringen und damit gut gerüstet sind. Und es gibt ja auch genug Tools, eine Vielzahl an Best Practices zur Unterstützung. Damit sollte Recruiting ja machbar sein.
Doch genau hier liegt das Problem: Recruiting wirkt von außen oft einfacher, als es ist. Es ist nicht nur operatives Abarbeiten, sondern ein Mix aus Strategie, Kommunikation, Diagnostik und Prozessmanagement. Dafür sind die wenigsten Recruiting-Starter ausreichend theoretisch wie praktisch vorbereitet. Und da greift auch ein Briefing zu kurz, das vermittelt, wie Recruiting im eigenen Unternehmen abläuft.
Die größten Stolpersteine für Recruiting-Starter
- Fehlende Orientierung – Neue Recruiter und auch Hiring Manager sind oft auf sich gestellt, weil Recruiting-Teams und Vorgesetzte unter Druck stehen. Ein kurzes Briefing oder hier und da das Beantworten von Rückfragen ersetzt kein echtes Onboarding.
- Falsche Erwartungen – Oft wird erwartet, dass Recruiting-Starter „einfach loslegen“, dabei fehlt ihnen oft das nötige fachliche Know-how zu den verschiedenen Aufgaben von A bis Z oder es ist eher theoretischer Natur. Und außerdem mangelt es oft an Erfahrung in der Umsetzung des Wissens in die Praxis und ihre verschiedenen Facetten.
- Unsicherheit im Umgang mit Fachbereichen – Recruiting ist Teamwork mit den Hiring Managern. Ohne klare Kommunikation und Abstimmung entstehen Missverständnisse und Verzögerungen. Das Zusammenspiel mit Hiring Managern ist i.d.R. aber ungeübt und oft geprägt von Trugschlüssen auf beiden Seiten.
- Fehlendes Training in Anforderungs- und Zielgruppenanalyse, Kandidatengewinnung, Bewerberkommunikation und praktischer Eignungsdiagnostik. Viele Neueinsteiger fühlen sich z.B. unsicher – es fehlt Wissen um die Anwendung von Techniken, No-Gos in der Umsetzung, Handlungskompetenz außerhalb von Standardsituationen, Berücksichtigung rechtlicher Aspekte usw.
Was Recruiting-Starter wirklich brauchen: 5 Erfolgsfaktoren
1 | Ein strukturiertes Onboarding-Programm
Recruiting ist ein komplexes Spielfeld – neue Recruiter brauchen einen klaren Fahrplan. Ein strukturiertes Einarbeitungskonzept mit definierten Meilensteinen sorgt für Orientierung.
2 | Gezieltes Training in den Kernkompetenzen
Einsteiger sollten in allen erfolgskritischen Aufgaben systematisch geschult werden – von Anforderungsanalyse und Bewerberansprache über Bewerberkommunikation bis hin zu Diagnostik-Methoden in Interviews und Feedbacks. Dabei stets zu berücksichtigen: Candidate Experience, Zusammenspiel zwischen Hiring Managern und HR/Recruiting, rechtliche Aspekte und eingesetzte Tools.
3 | Praxisnahes Lernen von Anfang an
Statt nur Theorieschulungen brauchen Einsteiger Möglichkeiten zum „Learning by Doing“. Shadowing, Mentoring und Coaching helfen, Unsicherheiten abzubauen und Handlungskompetenz in verschiedenen Situationen zu entwickeln.
4 | Starke Zusammenarbeit von Hiring Managern und Recruiting
Recruiter müssen lernen, ihre Rolle aktiv zu gestalten und Hiring Manager zu beraten, anstatt nur „Aufträge“ abzuarbeiten. Und auch Hiring Manager müssen einen Kompass für ihre Rolle im Recruitingprozess bekommen.
5 | Laufende Begleitung und Feedback
Regelmäßige Check-ins, Peer-Feedback und Austausch mit erfahrenen Kollegen oder externen Experten helfen, typische Fehler zu vermeiden und schneller Sicherheit zu gewinnen.
❗ Interessant zu wissen
Zwei vor Kurzem auf Linkedin durchgeführte Umfragen zeigen – wenn auch nicht repräsentativ – eindrucksvoll, wie es um z.B. um das zentrale Skill „Führen von Bewerbungsgesprächen“ bei HRlern/Recruitern und Hiring Managern bestellt ist. So wurden von den antwortenden 120 HRlern/Recruitern 48% noch nie geschult und von 71 Hiring Managern gaben sogar 71% an, noch nie oder nur oberflächlich geschult worden zu sein.
Häufige Einwände gegen eine fundierte Einarbeitung inklusive Training und Mentoring – und warum sie falsch sind
- „Das kostet zu viel Zeit – wir brauchen schnell Ergebnisse!“ → Ohne eine gute Einarbeitung entstehen Fehler, die langfristig teurer sind als das Invest in Trainings und Begleitung. Recruiting ist eine strategische Aufgabe – wer hier investiert, sichert langfristigen den Rekrutierungs- und Unternehmenserfolg.
- „Die lernen das doch im Doing von selbst.“ → Kommt drauf an, von wem sie sich was abschauen, ob sie sich selbst schlau machen und wieviele Fehler und Fehlgriffe man einpreisen möchte. Mit klaren Lernformaten und strukturierten Trainings und Begleitung geht es in jedem Fall schneller, einfacher und mit weniger Risiko für zwischenzeitliche Fehlgriffe und Frustrationen.
- „Recruiting ist doch kein Hexenwerk – wir haben ja Tools und Vorlagen.“ → Tools sind wichtig, aber Recruiting erfordert das Wissen, die Möglichkeiten der Tools einschätzen und deren Ergebnisse richtig bewerten zu können. Außerdem bedarf es Fingerspitzengefühl in der Ansprache, Verhandlungsgeschick und diagnostische Fähigkeiten – das lernt man nicht nur durch ein paar Vorlagen oder die Verwendung von Tools.
Fazit: Recruiting-Starter fit zu machen, ist eine Investition, die sich lohnt
Unternehmen, die ihre Recruiting-Starter professionell aufstellen und begleiten, gewinnen langfristig die besseren Talente. Eine systematische Einarbeitung reduziert Fehler, beschleunigt die Produktivität und stärkt das Employer Branding. Recruiting ist keine reine Verwaltungsaufgabe – es ist eine Schlüsselrolle für den Unternehmenserfolg. Und wer Recruiting wirklich als Wettbewerbsvorteil nutzen will, darf hier nicht improvisieren.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.