In den letzten Monaten hat nicht nur die Arbeitsnachfrage an sich stark angezogen, sondern auch die Nachfrage nach Recruitern. Auswertungen von Stellenanzeigen zeigen klar, dass die Nachfrage nach Recruitern und Employer Branding-Managern nicht nur zugenommen hat, sondern auch deutlich über der Nachfrage in Vorkrisenzeiten liegt. Allerdings zeigen sich inzwischen auch wieder Abschwächungen (→ Arbeitsmarktbarometer Recruiting), was sicherlich auf die externen Rahmenbedingungen und die z.T. schwer kalkulierbaren Risiken für Unternehmen zurückzuführen sein dürfte.
Juniors besonderes gesucht
Die Auswertungen zeigen aber auch sehr deutlich: Gesucht werden vor allem Juniors (Praktikanten/ Werkstudierende und Young Professionals). Erfahrene Recruiter werden in geringerem Maße nachgefragt.
Ob man nun die Erfahrung gemacht hat, dass erfahrene Recruiter, wie viele Beschäftigte sonst auch, zwar irgendwie wechselinteressiert sind, aber in ihren aktuellen Jobs verharren, oder ob man unsicher ist, für wie lange man das Recruiting verstärken muss oder eher günstige, schnell umsetzbare Lösungen sucht: Recruiting Einsteiger sind aus drei Gründen keine schnelle Lösung für die jetzt dringend benötigten Recruiting-Ressourcen.
Risiken einer Fokussierung auf Recruiting-Einsteigende
1. Fehlendes Know-How
Die aktuell überlasteten Recruiting-Bereiche mal schnell eben mit Einsteigern zu verstärken, bringt meist nicht die gewünschte Entspannung. Da sie typischer Weise eine akademische Ausbildung (ggf. noch nicht abgeschlossen) und maximal ein paar Wochen Erfahrung aus Praktika/Werkstudierendentätigkeiten mitbringen, können sie das Recruiting nicht wie erfahrene Recruiter eigenverantwortlich managen. Vielmehr müssen die vorhandenen Recruiter zusätzlich zu ihrer Arbeit noch einige Zeit in Praxisausbildung, Einarbeitung und anschließend in kollegiale Unterstützung investieren. Diese Zeit ist aber oft nicht da.
Infolgedessen werden oft einfache Administrationsaufgaben an die Einsteigenden delegiert, während die erfahrenen HRler/ Recruiter selbst die anspruchsvolleren Aufgaben machen. Für Praktikanten mag das noch in Ordnung sein, Young Professionals wollen aber mehr. Bekommen sie nicht weiterführende Recruitingaufgaben, wächst die Unzufriedenheit und sie bewerben sich weiter.
2. Schnelle Überforderung
Gibt man ihnen aber mehr und kann sich nicht ausreichend um Einarbeitung und Coaching kümmern, verbrennen sie schnell, weil sie überfordert sind. Denn gerade im fortschreitenden Einstellungsprozess gewinnen praktische Eignungsdiagnostik, Interviewführung und People Management sowohl hin zu Hiring Managern als auch zu Bewerbenden immer mehr an Bedeutung. Hier stoßen die Einsteigenden eben nicht nur auf Standardsituationen und verständige Personen. Und dann benötigen sie Fähigkeiten, für die sie meist noch kein umfangreiches Handlungsrepertoire entwickeln konnten.
3. Konsequenzen für die interne Reputation wie für die Candidate Experience und das Arbeitgeberimage
Viele wurschteln sich durch und sammeln dadurch natürlich auch Erfahrung. Manche treten trotz Unsicherheit sehr selbstbewusst auf, geraten aber je nach Situation oder Gegenüber dann schnell ins Schwimmen. Andere sind in ihrem Auftreten angesichts selbst wahrgenommener Überforderung verunsichert, was man ihnen dann auch schnell anmerkt.
Beides hat negative Folgen. Es kann zu Qualitätseinbußen bei der Stellenbesetzung kommen und es entstehen Unzufriedenheiten bei Bewerbenden und Hiring Managern. Es mag sein, dass es immer noch Hiring Manager gibt, die lediglich eine administrative Assistenz seitens des Recruiting erwarten. Überwiegend wünschen sie sich aber eine kompetente Begleitung und auch beratende Unterstützung im Auswahlprozess und bei den Auswahlentscheidungen. Dies gilt insbesondere auch für selbst im Recruiting unerfahrene Führungsnachwuchskräfte. Wenn einsteigende Recruiter das nicht leisten können, verlieren sie, aber auch das Recruiting als Bereich schnell an Akzeptanz. Im schlimmsten Fall suchen Hiring Manager Lösungen vorbei an Recruiting. Im Hinblick auf Bewerbende ist die Situation ähnlich. Wenn sie sich nicht kompetent begleitet und unterstützt fühlen, Unsicherheit oder Uninformiertheit auf der anderen Seite erleben, ist die Auswirkung auf die Candidate Experience und die Arbeitgeber-Reputation negativ.
Recruiting-Einsteigende mit dem richtigen Ziel rekrutieren
Keine Frage: Natürlich sollen und müssen im Recruiting auch Einsteigende arbeiten und ihren Platz haben. Aber Ziel muss es sein, sie ins Recruiting reinzubringen, mit den verschiedenen Rollen, Aufgaben und Situationen im Recruiting vertraut zu machen und sie wachsen zu lassen. Und eben nicht ins kalte Wasser zu werfen und als schnelle Lösung für ein Ressourcenproblem zu nutzen.
Denn sonst wird der Recruiting-Bereich ein “durchlaufender Posten” für Recruiting-Einsteigende auf dem Weg zu anderen Jobs. Gerade wenn die Recruiting-Ressourcen am Markt knapp sind, tun Arbeitgeber gut daran, Juniors gut einzuarbeiten, kollegial zu begleiten, sie zu fördern und nicht zu überfordern und so längerfristig im Recruiting zu halten.
Wer eine solche Einarbeitung, Entwicklung und Begleitung intern nicht leisten kann, muss nicht zwangsläufig auf Recruiting-Einsteigende verzichten und die o.g. Risiken in Kauf nehmen. Dann gilt es aber in externe Lösungen (Praxis-Kurse, Sparring Sessions/ Coachings) zu investieren. Manchmal ist das nicht nur für Recruiting-Einsteiger eine gute Lösung, sondern auch für das gesamte Recruiting Team. Denn dadurch kommen ggf. auch neue Impulse und Lösungsansätze von draußen hinein. Wichtig dabei ist allerdings, dass durch externe Unterstützung nicht einfach nur weiter theoretisches Wissen angebaut wird, sondern Praxiswissen vermittelt und situatives Handeln geschult werden.