Uns ist es in der vergangenen Woche 3 mal passiert. Bewerbende sind abgesprungen – im Prozess und nach Vertragsangebot. Diese Häufung ist bei uns Gott sei Dank die absolute Ausnahme. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag von onlyfy by xing haben 90 Prozent der Personalleiter in den letzten 12 Monaten aber auch genau diese Erfahrung gemacht, dass ihnen Bewerbende absagen. Ein Viertel der Befragten gibt sogar an, dass es häufig vorgekommen ist.
Klar, der Wettbewerb um passende Kandidaten hat zugenommen, so dass Unternehmen nicht immer die Nase vorn haben können. Manchmal sind Konkurrenzangebote einfach unschlagbar: ein Top-Gehalt oder einfach nur ein Fix- statt einem anteilig variablem Gehalt, die Nähe zum Wohnort oder die Anbindung an den ÖPNV, individuell besonders wichtige Arbeitgeberleistungen wie z.B. der erlaubte Hund im Büro.
Abgesehen davon sind die Gründe für Absprünge aber oft hausgemacht und gar nicht mal so sehr in der (Erst-) Verantwortung der Recruiter. Wenn wir auf unsere Kundenprojekte schauen, können wir fünf typische Gründe für Eigenabsagen oder Ghosting von Bewerbenden ausmache.
Fünf häufige Gründe für Bewerberabsprünge in der Praxis
Unkonkrete Anforderungen und Stellenanzeigen
Gerade wenn erfahrungsgemäß der Bewerbungseingang gering sein wird, neigen viele Arbeitgeber dazu das Anforderungsprofil und die Aufgaben sehr allgemein zu fassen. Damit glauben sie, möglichst viele Jobinteressenten zur Bewerbung zu motivieren. Dies hat nur allzu oft auch entsprechende Nebenwirkungen. Es kommen völlig unpassende Bewerbungen. Sie zu bearbeiten bindet nicht nur Ressourcen. Bewerbende, die abgesagt werden, sind frustriert, weil sie aus ihrer Sicht die allgemein gehaltenen Anforderungen doch erfüllen.
Aber auch Hiring Manager tun sich schwerer mit Entscheidungen, welche der Kandidaten passen könnten und welche nicht. So fällt schon die Entscheidung zur Einladung schwer und wird entsprechend hinausgezögert. Oder es werden sicherheitshalber mal fast alle Kandidaten eingeladen, um im Gespräch mal zu schauen, was sich ergibt. Dadurch verlängert sich der Prozess deutlich. Hier springen dann bereits die ersten Jobinteressierten ab. Wenn dann noch Gespräche wie so oft ins Nebulöse abdriften und Kandidaten sich fragen müssen, wo sie denn jetzt hin geraten sind, ist der Rückzug vorprogrammiert.
Warten auf das perfekte Match
Fatal ist es auch, wenn eigentlich passende Kandidaten hingehalten werden, weil man noch ein “Härchen in der Suppe gefunden hat” und vielleicht ja doch noch eine Bewerbung reinkommt, die noch einen Nice-to-have-Faktor zusätzlich mitbringt oder im besten Fall einfach günstiger “eingekauft” werden kann. Immer nach dem Motto ” Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob er nicht noch was Bess’res findet”.
Ergebnis ist dann eben auch oft, dass der perfekte Kandidat sich doch nicht bewirbt und hingehaltene Kandidaten inzwischen eben selbst etwas Besseres gefunden haben. Für Einladungen stehen sie dann nicht mehr zur Verfügung.
Plötzlich neue Fakten
Besonders heikel wird es, wenn nach einem langen Bewerbungsprozess im finalen Gespräch plötzlich Sachverhalte thematisiert werden , die bereits als abgehakt galten. Angesichts der oftmals guten Verhandlungsposition von Kandidaten sind Überraschungen wie eine plötzliche Befristung, ein neuer Aufgabenzuschnitt, ein zeitweiser anderer Arbeitsort oder fehlende Homeoffice-Option in der Probezeit dann das Detail, das in aller letzter Minute zum Absprung führt – allseitige Frustration inklusive.
Demonstration der Stärke
Auch Jobinterviews, die weniger dem gegenseitigen Kennenlernen dienen als vielmehr Ausdruck der Stärke und Macht des Arbeitgebers sind, provozieren immer wieder das Zurückziehen von Bewerbungen. Weder mit tribunal-artigen Situationen, bei der Kandidaten einer Phalanx mehrerer Entscheider gegenübersitzen, noch mit Stressinterviews oder überheblich, herablassend auftretenden Hiring Managern lassen sich Kandidaten vom Arbeitgeber überzeugen. Sie schließen von diesem Verhalten auf den künftigen Umgang mit ihnen als Mitarbeitende und sagen “Nein-Danke”.
Bewerbungsprozess al Gusto
Kommt es nur mir so vor? Prozesse zu definieren und einzuhalten scheint immer mehr aus der Mode zu kommen – Flexibilität ist Trumpf! Aber gilt das auch im Bewerbungsprozess? Ganz klar nein: Bewerbende schätzen transparente Verfahren und verlässliche Aussagen. Das zeigen Umfragen immer wieder. Diese geben ihnen Sicherheit auf dem unsicheren Terrain des Bewerbens. Konterkariert wird diese Sicherheit, wenn sich Verfahren plötzlich ändern und man darauf nicht vorbereitet war. Wenn z.B. im Kennenlerngespräch kurzerhand eine unangekündigte Arbeitsprobe verlangt wird oder noch schnell im Anschluss ein psychologischer Test gemacht werden soll. Oder plötzlich weitere Interviewpartner auftauchen, die vorher nicht angekündigt waren. Auch nicht toll: wenn zu Beginn des Recruitingprozesses plötzlich das Telefon des Bewerbenden klingelt und unangekündigt ein Telefoninterview geführt werden soll.
Abgesehen davon, dass diese vermeintlich flexibel mal und mal nicht bei Kandidaten genutzten Prozessänderungen im gleichen Recruitingprozess die Vergleichbarkeit zwischen Kandidaten stört; sie erschüttert auch das Vertrauen von Kandidaten in die Verlässlichkeit von Aussagen des Arbeitgebers. Und lassen dann auch Bewerbende ganz flexibel abspringen.
Bewerbende im Bewerbungsprozess halten – aber wie?
Bereits in den o.g. Beispielen deuten sich Zauberwörter an, die Absprünge im Bewerbungsprozess zu reduzieren helfen: Klarheit, Transparenz und Augenhöhe.
Klarheit
Aufgaben, Anforderungen und Rahmenbedingungen sollten zu Beginn des Recruitingprozesses klar sein und sich nicht erst im Laufe des Prozesses “entwickeln”. Ein Briefing zu Beginn des Recruitingprozesses ist daher Gold-Standard. Hier ist der Recruiter gefordert, diese Leitplanken zu erkunden und der Hiring Manager sollte entsprechend Farbe bekennen.
Transparenz
Bewerbende sollten von Anfang an transparent und möglichst konkret über Aufgaben und Anforderungen informiert werden – in der Stellenanzeige und in jedem Kontakt, in dem dies Thema ist. Und sie sollten über das Verfahren und die Prozessschritte, am besten auch deren Dauern, informiert werden. Möglichkeiten dazu gibt es viele: auf der Karriereseite oder in der jeweiligen Bewerberkommunikation/ -korrespondenz. Abweichungen davon sollten ein No-Go sein; und falls sie doch einmal notwendig sein sollten, vorab kommuniziert werden.
Augenhöhe
Im Auftreten gegenüber Bewerbenden gilt: sie sind keine Bittsteller, sondern künftige Teammitglieder und genauso sollte man ihnen auch schon im Kennenlernprozess begegnen. Dazu zählt auch, dass Bewerbenden nicht immer wieder von Step zu Step die gleichen Fragen gestellt werden und sie immer wieder ihren Werdegang oder Motive für die Bewerbung erzählen sollen. Statt dessen sollten Kennenlern-Ssituationen aufeinander aufbauen, das gegenseitige Informieren vertiefen und sich so Vertrauen und Vertrautheit miteinander entwickeln. Das gelingt besonders gut, wenn Informationen aus vorherigen Kennenlern-Situationen z.B. im Bewerbermanagement-System kompakt dokumentiert und in der nächsten Runde aufgegriffen werden.
Im Kundenmanagement sind Unternehmen hier oft schon weiter als im Bewerbungsmanagement. Gerade bei Anrufen in Service-Centern bin ich immer wieder erstaunt, wie schnell mein mir völlig unbekanntes Gegenüber den Sachverhalt richtig einordnen kann, Vorgeschichte und Vereinbarungen kennt und auf mein Anliegen kompetent reagiert – das geht nur auf Basis einer integrierten, schnell zu erfassenden Dokumentation.
Vielleicht bieten sich sogar Anleihen im Account Management an, bei dem wichtige Kunden von einem persönlichen Ansprechpartner umsorgt werden. Diese persönliche Begleitung durch den Bewerbungsprozess führt nicht zuletzt zu einer wertvollen persönlichen Beziehung, die so manchen Absprung zusätzlich erschweren wird. Im Recruiting könnte der Recruiter diese Bezugsperson von Anfang bis Ende des Recruitingprozesses sein.
Natürlich werden Absprünge von Bewerbenden, wie bei uns in der letzten Woche, nicht gänzlich zu vermeiden sein. Aber mit mehr Klarheit, Transparenz und Augenhöhe werden sie eher die Ausnahme bleiben.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.