Wahl-O-Mat: Entscheidungshilfe statt Bauchgefühl
Kaum freigeschaltet sorgt der Wahl-O-Mat gerade für Rekordzugriffszahlen. Millionen von Menschen nutzen ihn als Entscheidungshilfe, um herauszufinden, welche Parteien am besten zu ihren politischen Ansichten passen. Durch die Beantwortung einer Reihe von Fragen werden Positionen verglichen und eine fundierte Wahlentscheidung erleichtert – basierend auf Fakten statt auf vagem Bauchgefühl.
Doch was hat das mit Recruiting zu tun? Die Idee des Wahl-O-Maten lässt sich wunderbar übertragen! Denn auch nach Bewerbungsgesprächen geht es ja schließlich darum, Kandidaten zu bewerten und letzlich eine Entscheidungen zwischen Kandidaten zu treffen. Und dies sollte ja schließlich idealerweise auch auf Basis von Anforderungen und nicht aus dem Bauch erhaus erfolgen.
Ein oft vernachlässigtes Tool dafür ist ein strukturiertes Bewertungsraster – oder nennen wir es mal im übertragenen Sinne einen “Interview-O-Mat”.
Bauchgefühl im Recruiting – noch weit verbreitet
Interviews sind für die meisten Unternehmen nach wie vor das bevorzugte Instrument, um die Eignung von Bewerbenden zu erkunden. Selbst wenn Interviewleitfäden und standardisierte Fragen zum Einsatz kommen, fehlt aber oft eine klare, strukturierte Bewertung der Antworten. Stattdessen verlassen sich Interviewende am Ende oft mehr auf ihr pauschales subjektives Empfinden und Sympathie als auf objektive Kriterien.
Das Problem dabei: Ohne strukturierte Bewertungen sind Verzerrungen und unbewusste Vorurteile vorprogrammiert. Und das kann Folgen haben:
- Individuelle Entscheidungen: Die Bewertung von Kandidaten weicht deutlich voneinander ab, je nachdem, wer bewertet und wie dessen Tagesform ist.
- Unbewusste Vorurteile (Bias): Menschen neigen z.B. dazu, Personen auszuwählen, die ihnen oder Personen im Team ähnlich sind – so geht Vielfalt verloren. Unterschiedliche Erfahrungen, Perspektiven, Meinungen bringen aber oft Dinge nach vorne. Oder es werden Personen aufgrund eines persönlichen Vorurteils abgelehnt, die grundsätzlich passen würden.
- Mangelhafte Vergleichbarkeit: Ohne Bewertungsraster ist es schwer, Personen ganzheitlich miteinander zu vergleichen. So werden oft nur einzelne Punkte herausgegriffen, andere Kriterien gehen verloren.
- Fehlende Nachvollziehbarkeit: Entscheidungen, die aus dem Bauch getroffen werden, werden i.d.R. auch nicht dokumentiert (was sollte man auch festhalten?) Die Folge: niemand kann später mehr sagen, was zu der Entscheidung geführt hat.
Kurz gesagt: Selbst ein gut geführtes Interview bringt wenig, wenn die Bewertung anschließend willkürlich erfolgt.
Der “Interview-O-Mat”: Ein Bewertungsraster für bessere Entscheidungen
Wie kann man diesen Folgen vorbeugen? Die Antwort liegt in der Standardisierung der Bewertung durch ein klares Bewertungsraster – oder wenn wir die oben genannte Assoziation nochmals aufgreifen: Setzen wir doch einen “Interview-O-Mat” ein.
Ein solches Tool hilft dabei, Interviews nach definierten Kriterien auszuwerten, die zuvor (am besten schon zu Beginn des Recruiting-Prozesses) definiert wurden. So wie der Wahl-O-Mat politische Positionen analysiert, ermöglicht der “Interview-O-Mat” dann eine strukturierte Auswertung von Interviews und damit eine Auswahl der am besten passenden Kandidaten.
Ein effektives Bewertungsraster könnte beispielsweise folgende Elemente enthalten:
1. Klare Bewertungskriterien
Das sind die für die jeweilige Position definierten Kompetenzen und Soft Skills. Kriterien können z.B. sein: Fachliche Qualifikation, Analytisches Denken, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit oder Kulturelle Passung.
Dabei sollten die Kriterien nicht nur aufgezählt werden, sondern auch operationalisert sein. D.h. Es sollte umschrieben werden, was konkret damit gemeint ist und woran man Ausprägungen festmachen kann. Durch eine Gewichtung dieser Kriterien können Unternehmen die wichtigsten Faktoren auch noch priorisieren.
2. Punktebewertung
Um eine möglichst hohe Objektivität zu gewährleisten, ist es sinnvoll, Antworten nach einem Punktesystem zu bewerten . Ein einfaches Beispiel:
Kriterium | Gewichtung | Bewertung (1-5) | Punkte |
Fachliche Qualifikation | 50% | 4 | 2,0 |
Analytisches Denken | 20% | 3 | 0,6 |
Teamfähigkeit | 30% | 5 | 1,5 |
Gesamtwertung | 100% | 4,1 von 5,0 |
Ein solches Scoring-Modell sorgt für Transparenz und Vergleichbarkeit und hilft Subjektivät zu reduzieren.
3. Dokumentation von Bemerkungen
Notierte Stichworte oder Beispiele helfen später, die Bewertungen und Entscheidungen leichter nochmals nachzuvollziehen. Und sie bieten bei Bedarf eine gute Argumentationsbasis, z.B. hier:
- Feedback an Bewerbende: Objektive Bewertungen und klare Argumente machen ein konstruktives Feedback leichter und für Bewerbende verständlicher.
- Im Rechtsfall: Eine dokumentierte, objektive Bewertung minimiert Risiken aus möglichen Vorwürfen wegen Diskriminierung.
- Verbesserte Einarbeitung: Einschätzungen aus dem Interview können im Onboarding helfen, die Einarbeitung gezielt und individuell zu gestalten.
Besser entscheiden – mit Bewertungsraster statt Bauchgefühl
Der Wahl-O-Mat zeigt, wie datenbasierte Entscheidungen helfen können, sich leichter zu entscheiden. Wenn man diesen Ansatz auf Interviews überträgt, ist ein Bewertungsraster – “Interview-O-Mat” – ein hilfreiches Tool, um Interviews systematisch zu bewerten und leichter objektive Auswahlentscheidungen zu treffen. Denn am Ende zählt vor allem die richtige Passung zwischen Talenten und Unternehmen – und zuletzt ggf. auch noch das Bauchgefühl.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.