Möchten mittelständische Unternehmen im Wettbewerb um gute Mitarbeiter mithalten, kommen sie an professionellem Recruiting nicht vorbei. Nicht nur, dass die Ansprüche der Kandidaten an Personalmarketing/ Recruiting gestiegen sind, Fehlentscheidungen lassen sich angesichts der Arbeitsmarktlage auch nicht mehr so schnell korrigieren wie früher – und schaden im schlimmsten Fall sogar noch dem Arbeitgeberimage. Der Recruitingbedarf im Mittelstand ist oft stark schwankend und die Personaldecke und Budgets meist knapper bemessen als in Konzernunternehmen. Wie kann ein Mittelständler unter diesen Gegebenheiten ein für Kandidaten wie für Personalentscheider spürbar professionelles Recruiting betreiben? RPO -“Recruiting Process Outsourcing” könnte eine Lösung sein. Wir haben diese näher beleuchtet.
Die klassisch mittelständische Situation
Neulich im Zug kam ich mit meinem Gegenüber ins Gespräch. Auf die Frage, was ich so mache, erklärte ich ihm, dass ich Recruiting-Beraterin bin. Interessant, war die Antwort und dass man in seinem Unternehmen so etwas auch mal gebrauchen könnte. Ich wurde hellhörig und fragte nach. Es stellte sich heraus, dass mein Gesprächspartner in einem mittelständischen Dienstleistungsunternehmen als Vertriebsleiter arbeitet, man seit längerem händeringend, aber erfolglos neue Mitarbeiter sucht. Ich fragte, wer denn für das Recruiting verantwortlich ist und wieviele Personaler/Recruiter es denn gäbe. Es stellte sich heraus, dass es zwar eine Personalerin gibt, die aber im wesentlichen mit der Personalverwaltung und Gehaltsabrechnung ausgelastet ist und Recruiting, also die Vorstellungsgespräche bis auf die Auswahl von Aushilfen und Azubis überwiegend Chefsache ist. Was Chefsache heißt, wollte ich wissen. Damit ist gemeint, dass die jeweilige Führungskraft sich die Bewerbungen ansieht, Vorstellungsgespräche führt und im zweiten Gespräch noch der Geschäftsführer mit dem Bewerber spricht. Die Personalerin hat damit nichts zu tun und fertigt dann nur noch den Vertrag aus. Auf meine Frage, was man denn tue, um Bewerber anzusprechen, antwortete der Gesprächspartner: Anzeigen schalten – das macht die Personalerin übrigens auch auf Zuruf der Führungskräfte noch.
Ein Klassiker: Personalarbeit in mittelständischen Unternehmen ist oft gekennzeichnet durch eine starke Fokussierung auf administrative Verwaltung. Oft werden strategische Personalthemen/-projekte und insbesondere auch das Recruiting direkt durch den Chef oder die Führungskräfte wahrgenommen. Die mittelständischen Arbeitgeber haben mit den wachsenden Herausforderungen zeitnaher und adäquater Stellenbesetzungen zu kämpfen, sie hinken in Bezug auf Employer Branding, Recruiting Innovationen, Social Media-/E-Recruiting etc. größeren Unternehmen hinterher und achten zu wenig auf die Candidate Experience. Verständlich: denn schließlich kann der Chef dies alles neben seinen weiteren Aufgaben in der Unternehmens- und Mitarbeiterführung nicht auch noch stemmen. Auch fehlt meist das notwendige einschlägige Know-how bei den mit Personalbeschaffung betrauten Mitarbeitern und Führungskräften.
Die Folgen
- Das Anwerben passender Bewerber gestaltet sich schwierig, Recruitingprozesse dauern viel zu lange – Vakanzen bleiben dadurch länger als notwendig unbesetzt, was sich auf die Produktivität und die Belastung/Stimmung im Team negativ auswirkt
- Interessierte Kandidaten springen ab – sie gehen an die Konkurrenz verloren, weil diese schneller in der Entscheidungsfindung ist.
- Fehlentscheidungen nehmen zu – ausgewählte Mitarbeiter zeigen nicht die Leistung oder passen nicht so ins Team, wie man angenommen hat; Trennungen und neue Rekrutierungsverfahren belasten das Budget, kosten Zeit und lassen ein gelöst geglaubtes Problem neu aufflammen.
RPO als Alternative – warum eigentlich nicht?
Mittelständische Unternehmen haben verschiedene Optionen, um diesem Dilemma zu entkommen. Eine interessante Variante ist das RPO – das Recruiting Process Outsourcing. Damit ist die (modulare) Übergabe von Recruiting-Aufgaben an externe Experten gemeint. In UK oder USA ist dies längst geübte Praxis, in Deutschland noch weniger verbreitet und gerne auch mal vorschnell zum Tabu erklärt.
Dabei sind gute RPO-Dienstleister Spezialisten in ihrem Gebiet: sie
- wissen, wie man Anzeigen gut und auf die Zielgruppe zugeschnitten formuliert und platziert
- kennen sich mit der Ansprache potenzieller Kandidaten live und im Netz aus
- sind geübt im Führen struktuierter, anforderungsorientierter (Telefon-) Interviews und der Durchführung job-adäquater Auswahlverfahren
- sind effizient im eigenen Vorgehen und achten auf rechtliche Gegebenheiten
- wissen um die Bedeutung einer guten Candidate Experience und halten die Fäden des Recruitingprozesses zusammen
- sind geübt in der Kommunikation zu Kandidaten wie zu Führungskräften und sorgen für eine zügige Prozessgestaltung
- schaffen Mehrwerte durch eine kompetente Beratung der Personal-Entscheider wie der Bewerber und geben auf Wunsch qualifiziertes Feedback.
Ein Grund, der immer gerne als Argument gegen RPO angeführt wird: es sind keine Insider, sie kennen sich vermeintlich nicht mit dem Unternehmen aus. Das gilt aber auch – wenn man ehrlich ist – für andere Personal-Dienstleister, die man durchaus häufiger engagiert und nicht selten auch für die Personaler des Unternehmens selbst. Oft wird ihnen schließlich auch vorgeworfen, dass sie sich zuwenig aus ihren Gefilden herausbewegen und mit den Prozessen und Bedarfen der Fachabteilungen vertraut machen. Professionelle RPO-Dienstleister lassen sich briefen und machen sich schlau, über das Unternehmen, die Abläufe und die Personal-Entscheider – und sie sind erfahren darin, sich schnell auf neue Situationen, Personen und Welten einzustellen.
Abgrenzung zu anderen externen Recruiting Dienstleistungen
RPO-Experten agieren quasi als verlängerter Arm des eigenen Personalbereiches. Sie bearbeiten wie ein interner Recruitingexperte operative Recruitingaufgaben und -projekte vom eigenen Office aus und auch (zeitweise) vor Ort. Hinsichtlich der Vergütung sind Zeithonorare oder auch Fallpauschalen für abgrenzbare Tätigkeiten üblich. RPO-Experten können projektweise, für ausgewählte Prozess-Schritte oder das gesamte Recruiting eingesetzt werden. Durch ihre Expertise sind sie geübt darin, Verbesserungspotenziale zu erkennen und – wenn gewünscht – Anstöße für eine kontinuierliche Optimierung im Recruiting zu geben. Abzugrenzen sind sie zu:
- Personalvermittler liefern in aller Regel Kandidatenprofile, die idealer Weise auf die Anforderungsprofile offener Stellen passen. Professionelle Anbieter stimmen sich vorab mit den auftraggebenden Unternehmen ab, lassen sich briefen, schauen sich den Betrieb an und führen eine Vorauswahl durch. Wird ein vorgeschlagener Bewerber eingestellt, erhalten die Personalvermittler eine Provision in Höhe eines Prozentsatzes des Jahresgehalts des eingestellten Mitarbeiters.
- Headhunter werden meist bei Spezialisten- und Führungspositionen ins Boot genommen. Sie recherchieren passende Kandidaten, erstellen eine Zielliste, sprechen diese aktiv an und erkunden deren Wechselbereitschaft und Passung zur Vakanz. Meist folgen Gespräche und Auswahlverfahren, um anschließend den Auftraggebern ausgewählte Kandidaten (Shortlist) vorzustellen. Auch hier ist eine erfolgsabhängige Vergütung üblich, wobei meist ein bestimmter Anteil mit Auftragserteilung, ein weiterer Anteil mit Bereitstellung der Shortlist und der abschließende Anteil mit Vertragsabschluss zwischen Arbeitgeber und Kandidat fällig wird.
- Interims-Recruiter sind RPO-Experten recht ähnlich. Sie übernehmen als Einzelpersonen in aller Regel entweder für eine bestimmte Zeit die Recruitingfunktion im Unternehmen, z.B. zur Überbrückung einer Vakanz, oder verantworten konkrete Projekte wie z.B. die Einführung eines Recruiting-Systems oder den personellen Aufbau eines neues Standortes. Sie werden in aller Regel mit einem Tages-/Stundensatz für ihren Einsatz vergütet und arbeiten meist vor Ort.
Die Vorteile von RPO
- nicht nur punktuelle Unterstützung im Recruiting durch “Lieferung” von Kandidaten, sondern Unterstützung im gesamten Recruiting-Prozess möglich
- schnelle und verlässliche Verfügbarkeit professionellen Know-hows und Erfahrung
- flexible Einsetzbarkeit – projekt-/zeitweise, in allen oder einzelnen Prozessschritten
- einsatzabhängige Kosten statt Fix- und Zusatzkosten wie bei angestellten Mitarbeitern
- Ausfallsicherheit durch Team des RPO-Dienstleisters
- Know-how-Transfer und “Honigsaugen” von den Erfahrungen, bisherigen Lösungen und der Arbeitsmarktkenntnis des Dienstleisters
Worauf bei Auswahl eines RPO-Experten zu achten ist
- Welche Qualifikation und Erfahrung bringen die handelnden Personen mit (Ausbildung, Berufserfahrung)?
- Welche konkreten Kenntnisse und Erfahrungen im Recruiting sind vorhanden (Projekte in der Vergangenheit)
- Welche (vergleichbaren) Branchenkenntnisse sind vorhanden? Kennt der RPO-Experte die typischen Bewerberzielgruppen?
- Welche Service-Levels bietet der Anbieter an/lassen sich vereinbaren?
- Wie zeitlich flexibel und in welchen Recruitingschritten kann der Dienstleister eingesetzt werden?
- Wie ist der RPO-Dienstleister selbst intern organisiert (Recruiting-Technologien/-instrumente, Ausfallsicherheit, Qualitätssicherung, Dokumentation)?
- Wie sieht das Vertrags- und Preismodell aus?
- Wie sehr ist der RPO-Dienstleister interessiert, sich mit den Gegebenheiten im Unternehmen vertraut zu machen, um eine maßgeschneiderte Unterstützung anzubieten statt ein Standardvorgehen überzustülpen?
Professionelle Unterstützung statt Do it Yourself
An anderen Stellen im Unternehmen wird im Mittelstand auf professionelle externe Unterstützung häufig ganz selbstverständlich zurückgegriffen: So gibt es oft eine Marketingagentur, die bei Werbung und Pressearbeit unterstützt; es gibt IT-Dienstleister, die für die Installation und Wartung von IT-Systemen oder die Anpassung und Programmierung von Software hinzugezogen werden; es gibt Rechtsanwälte und Steuerberater, die professionell in Rechts-/Steuerthemen beraten und unterstützen. Externe Recruiting Experten ergänzen diesen Expertenkreis im für viele Unternehmen sehr wichtigen Feld der Fach- und Führungskräftebeschaffung und -auswahl.
Betrachtet man die oben genannten Vorteile, ist die RPO-Lösung für den Mittelstand eine sehr komfortable Möglichkeit zur Professionalisierung des Recruitings. Unter Berücksichtigung der Tipps zur Auswahl eines RPO-Experten spricht mehr für als gegen die Erweiterung des externen Expertenkreises. Was meinen Sie?
Bildquelle: © pressmaster – Fotolia.com
Auch lesenswert:
Monster Recruiting Trends Mittelstand 2015
QRC Group: HR Trends Mittelstand 2014
Fischer, S.: Recruitment Process Outsourcing (RPO) – Strohfeuer oder neuer Trend? Studie der Hochschule Pforzheim, 2010.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.