Recruiting machen die meisten Recruiter und Personaler gerne und mit viel Leidenschaft. Aber sie finden nicht immer die Anerkennung und Unterstützung im Unternehmen, die sie sich wünschen. Wir von upo feiern in diesem November unser 20-Jähriges und können das aus vielen Gesprächen, Coaching- und Beratungsprojekten und aus eigener Erfahrung als RPO-Dienstleister bestätigen. Deshalb war die Studie Recruiter Experience 2018 auch für uns eine interessante Lektüre. Sie liefert aus unserer Sicht einige interessante Einblicke hinter die Kulissen und Anstöße, am Status quo etwas zu ändern.
Stellenwert des und Unterstützung für’s Recruiting ausbaufähig
Über alle befragten Recruiter der Studie liegt der selbst wahrgenommene Stellenwert auf einer Skala von 1 bis 6 durchschnittlich bei 4,3. Allerdings zeigt die Umfrage auch, dass etwa jeder Dritte den Stellenwert des Recruitings als gering oder eher gering bewertet. Unabhängig vom wahrgenommenen Stellenwert des Recruitings wünscht sich jeder zweite Recruiter mehr Unterstützung von der Geschäftsführung und 40% mehr von Kollegen aus anderen Unternehmensbereichen.
Mögliche Gründe für den Status quo und Change-Optionen
1. Recruiter sind oft recht breit aufgestellt
Neue, passende Mitarbeiter zu gewinnen, ist überlebenswichtig für die meisten Firmen. Es wird von HR/dem Recruiting erwartet, dass diese Aufgabe quasi auf Zuruf und möglichst “geräuscharm” erfüllt wird. Und zwar unabhängig davon, welche Rahmenbedingungen gegeben sind. Außerdem sollen die Personaler/Recruiter neben diesem operativen Job auch als Face to the Candidate aktiv das Arbeitgeber- und Unternehmensimage mitgestalten und sich mit dem Employer Brand beschäftigen. Und sie sollen natürlich auch die wirtschaftlichen Belange des Unternehmens beachten, idealer Weise durch den Einsatz technologischer Lösungen langfristig Kosten einsparen und den Erfolg ihres Handelns controllen. Dies erfordert ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Kenntnisse und Fähigkeiten. Schwierig für den Einzelnen, alle Anforderungen gleichermaßen gut zu erfüllen und so eine hohe Anerkennung zu erreichen.
Change-Option
Eine deutlich stärkere Spezialisierung im Recruiting ist angezeigt. Statt “eierlegender Wollmilchsau”, sollten Mitarbeiter im Recruiting sich mehr auf einzelne Teilbereiche fokussieren und sich dazu weiterbilden und professionalisieren, z.B. zu Personalmarketing, Sourcing, Direktansprache, Bewerbermanagement, Diagnostik, Datenanalyse und Recruiting-Controlling.
Und sie sollten sich für die Digitalisierung administrativer Recruiting-Aufgaben stark machen (z.B. Einführung von Bewerbermanagement-Systemen, Multiposting von Anzeigen, Einsatz von E-Assessments). Dann erhalten sie nämlich nicht nur Freiräume für anspruchsvollere Aufgaben wie Active Sourcing, Talent-Networking oder Personaldiagnostik. Sie können dadurch auch Mehrwerte schaffen, die dem Management und dem Unternehmenserfolg zugute kommen: Auswahlprozesse beschleunigen und Vakanzen schneller besetzen, die Bewerberselektion verbessern und Fehlgriffe reduzieren, die Candidate Experience fördern und damit auf ein positives Arbeitgeberimage einzahlen etc.
2. Im Recruiting arbeiten oft Berufs- und Quereinsteiger
Auch wenn das Gros der Recruiter einen akademischen Abschluss hat (knapp 80% in der Umfrage), sind nicht wenige (Quer-) Einsteiger (jeder 4. ist Einsteiger, 15% Quereinsteiger). Die Abwicklung administrativer Aufgaben wird ihnen zugetraut; in der Rolle des Interviewpartners und Mitentscheiders müssen sie hingegen um Akzeptanz kämpfen.
Eine zentrale Aufgabe im Recruiting ist das Bewerbermanagement mit der Sichtung des Bewerbungseingangs und der Vorselektion (78%), gefolgt von der Beantwortung von Bewerberfragen und dem Formulieren von Stellenanzeigen. Die aktive Beteiligung an Auswahlverfahren durch das Führen von Interviews oder Telefoninterviews ist nur bei 59% bzw. 54% der Befragten ein Arbeitsschwerpunkt. Die Kandidatenansprache im Web gehört für 44% zu den Schwerpunktaufgaben. In knapp der Hälfte der finalen Auswahlentscheidungen sind Recruiter aber nicht einbezogen.
Change-Option
Wer als Sparrings-Partner erfahrener Führungskräfte im gesamten Auswahlprozess auftreten und deren Anerkennung erhalten möchte, benötigt neben einschlägigem Expertenwissen und Praxis-Erfahrungen auch persönliches Standing. Daher sollte im Recruiting nicht zu sehr auf Berufseinsteiger oder Quereinsteiger gesetzt werden, die “gerne etwas mit Menschen machen wollen” und vermeintlich auf Augenhöhe mit den häufig gesuchten jüngeren Generationen sind. Vielmehr sollte zumindest Wert auf einen gesunden Mix mit einschlägig qualifizierten und berufs- wie lebenserfahrenen Recruiting-Professionals gelegt werden.
3. Spezielle diagnostische Auswahlinstrumente fehlen oft
In Auswahlverfahren dominieren klar (Telefon-) Interviews – das zeigt auch die Studie Recruiter Experience 2018 wieder. Testverfahren werden deutlich weniger standardmäßig oder zumindest gelegentlich genutzt (Leistungstests 52%, Persönlichkeitstests 33% und Cultural Fit Tests 23%). Case Studies kommen bei 40% der Unternehmen und ACs bei 32% zumindest gelegentlich vor.
Wenn aber auf passende eignungsdiagnostische Instrumente verzichtet wird und lediglich auf Interviews gesetzt wird, die oft auch noch unstrukturiert ablaufen oder von vorn herein durch fehlerhafte Fragetechniken zum Scheitern verurteilt sind, ist das Risiko von Fehlgriffen bei Neueinstellungen hoch. Solche Fehlgriffe wirken sich meist auch negativ auf die Wertschätzung der (Vor-) Arbeit des HR-/Recruitingbereiches aus.
Change-Option
Gerade auch im Recruiting bewegt sich sehr viel. Hier gilt es auf dem aktuellen Stand zu bleiben, sich weiterzubilden, Trends zu beobachten und sich insbesondere mit neuen Tools und diagnostischen Methoden zur Personalauswahl zu beschäftigen. So lässt sich ein enormer Wissensvorsprung auch gegenüber dem Management aufbauen. Auch in Diskussionen um Fachkräftemangel und Candidate Experience finden sich dann die richtigen Argumente, die das Management und die Geschäftsführung überzeugen, auf mehr Professionalisierung in der Personalauswahl durch den Einsatz diagnostischer Instrumente Wert zu legen.
4. Recruiter fordern selten Feedback ein
Nur 22% der Recruiter fragen regelmäßig den Fachbereich, den sie im Recruiting unterstützen, nach einem Feedback, 32% immerhin häufiger mal, aber auch 20% nie. So bekommen sie auch keine Rückmeldung über die Wertschätzung ihrer Arbeit (die vielleicht sogar da ist, aber nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird). Und so wissen sie auch nicht, an welchen Stellen sie sich vielleicht noch besser aufstellen können, um die Wertschätzung zu erhalten, die sie sich wünschen.
Change-Option
Das Recruiting muss mehr Face to the Customer, hier den Personalentscheidern, zeigen und sich nicht hinter der eigenen Arbeit oder dem eigenen Schreibtisch verstecken. Das heißt einerseits, mehr in die Fachbereiche gehen, sie besser verstehen lernen, um Recruitingprozesse darauf anzupassen. Es heißt aber auch, aktiv mehr ins Gespräch mit den Managern über erfolgte Recruiting-Aktivitäten zu gehen, Rückmeldung zu geben und einzufordern (“Manöverkritik”).
5. Recruiter betreiben zu wenig Recruiting-Controlling
Gleiches gilt für die Erhebung von Kennzahlen des Recruitings. Nur 25% der Befragten betreiben regelmäßig Recruiting-Controlling, ähnlich viele aber auch gar nicht. Die übrigen gelegentlich. Damit haben sie auch wenig Belege in der Hand, die zeigen könnten, wie erfolgreich und leistungsfähig das Recruiting und ihre Arbeit ist.
Change-Option
Recruiter sollten lernen, mehr die Sprache des Managements zu sprechen. Das setzt voraus, dass sie sich stärker mit den für das Management wichtigen betriebswirtschaftlichen, analytischen und strategischen Themen des Recruitings beschäftigen. So gelingt es ihnen, mehr Augenhöhe zu denjenigen zu erlangen, deren Wertschätzung und Unterstützung sie erhalten wollen.
Mittels Kennzahlen und betriebswirtschaftlichen Bewertungen ihrer Aktivitäten können sie nicht nur zeigen, wie erfolgreich sie arbeiten. Sie verdeutlichen auch, an welchen Stellen Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Von ihnen vorgeschlagene Maßnahmen stehen nicht im “luftleeren” Raum, sondern werden für Entscheider greifbar.
Fazit
Dass 92% der Befragten von sich sagen, dass sie ihre Tätigkeit als Recruiter gerne machen und sich 87% nochmals dafür entscheiden würden, ist aus meiner Sicht ein starkes Statement. Aber zeigt es nicht auch, dass viele Recruiter trotz der teilweise beklagten zu geringen Wertschätzung und Unterstützung eigentlich ganz zufrieden mit dem Status quo sind?
Wenn Recruiting aber so weitermacht, wird sich nichts ändern. Dass ein “Weiter so” aber angesichts der Veränderungen am Markt und in den Technologien so nicht gehen wird, will man auch künftig noch Rekrutierungserfolg haben, wurde kürzlich erst hier deutlich gemacht.
Die oben beschriebenen Change-Optionen sind Ansatzpunkte, aktiv zu werden. Mit einem veränderten Recruiting Mindset wird sich nicht nur der Stellenwert des Recruitings und die Unterstützung durch das Management und die Geschäftsführung positiv verändern, sondern auch der Rekrutierungserfolg nachhaltig sicherstellen lassen.