Der Fachkräftemangel ist mittlerweile eine Herausforderung, die Unternehmen quer durch alle Branchen betrifft. In diesem Umfeld hat sich eine Entwicklung besonders dynamisch gezeigt: Der Boom der Quereinsteigenden. Laut einer aktuellen Analyse der Jobplattform Stepstone.de hat sich die Zahl der Jobangebote, die sich speziell an Quereinsteigende richten, von 2019 bis 2023 um satte 329 Prozent gesteigert. Und dieser Trend setzt sich ungebrochen fort: Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2024 gab es mehr als doppelt so viele solcher Stellenanzeigen wie im Gesamtjahr 2019. Doch was bedeutet das für den Arbeitsmarkt, Recruiter und die Unternehmen selbst?
Was macht Quereinsteiger*innen so attraktiv für den Arbeitsmarkt?
Die Gründe für den Anstieg von Quereinsteiger-Jobs sind vielschichtig. Einerseits verändert sich der Arbeitsmarkt durch den demographischen Wandel und die Digitalisierung grundlegend. Unternehmen sind gezwungen, ihre bisherigen Rekrutierungsstrategien zu überdenken und flexibler zu werden. Wie Dr. Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei The Stepstone Group, sagt: „Der Quereinstieg ist hochaktuell. Die Gründe: Der Arbeitsmarkt wird flexibler, Jobprofile wandeln sich immer schneller und der demographische Wandel wird den Arbeitskräftewandel in naher Zukunft massiv verschärfen.“
Diese Offenheit und Flexibilität spiegelt sich auch in der Denkweise der Arbeitnehmenden wider. Früher war es üblich, 40 Jahre in demselben Berufsfeld zu bleiben. Heute jedoch streben viele Menschen danach, sich immer wieder neu zu orientieren und verschiedene Karrieren auszuprobieren. Das zeigt sich auch in den Zahlen: Fast drei Viertel der Beschäftigten denken regelmäßig darüber nach, neue berufliche Wege einzuschlagen, und über 29 Prozent ziehen einen kompletten Branchenwechsel in Betracht.
Die Vorteile für Unternehmen
Der Einsatz von Quereinsteigenden bringt Vorteile, die über die bloße Besetzung einer offenen Stelle hinausgehen. Diese Kandidat*innen bringen oft frische Perspektiven und Ansätze mit, die in der Branche, in die sie wechseln, noch nicht etabliert sind. Das kann zu Innovationen und einer Kultur des Lernens führen, die für Unternehmen in Zeiten dynamischer Veränderung überlebenswichtig ist.
„Für Unternehmen, die kreativ sind und sich flexibel aufstellen, können Quereinsteiger ein echtes Ass sein“, so Zimmermann. Sie bieten nicht nur die Chance, akute Personalengpässe zu überbrücken, sondern bereichern Teams auch durch ihre vielfältigen Erfahrungen und Sichtweisen.
Intern umsteigen: Eine unterschätzte Möglichkeit
Doch nicht nur der klassische externe Quereinstieg ist auf dem Vormarsch. Eine aktuelle Befragung von Stepstone zeigt, dass auch innerhalb von Unternehmen verstärkt auf interne Mobilität gesetzt wird. Knapp ein Sechstel der befragten Unternehmen fördern interne Umstiege, während 20 Prozent Weiterbildungsprogramme anbieten, um Mitarbeitende für neue Positionen zu qualifizieren.
Das ist eine Win-Win-Situation: Unternehmen nutzen das Potenzial ihrer erfahrenen Mitarbeitenden, und Beschäftigte, die sich nach Veränderung sehnen, können neue Herausforderungen innerhalb desselben Betriebs annehmen. Dadurch wird nicht nur die Mitarbeiterbindung gestärkt, sondern auch das Fachwissen innerhalb des Unternehmens bewahrt und weiterentwickelt.
Herausforderungen für Recruiter und HR
Für HR und Recruiting bedeutet dieser Trend jedoch auch umzudenken. Die Anforderungen an Bewerbende müssen überdacht und Jobprofile flexibler gestaltet werden. Hierbei geht es nicht nur um fachliche Qualifikationen, sondern vor allem um die „Soft Skills“ wie Lernbereitschaft, Anpassungsfähigkeit und Motivation. Die Stepstone-Analyse zeigt, dass die Suche nach geeigneten Kandidatinnen für offene Stellen für 60 Prozent der Personalverantwortlichen eine große Herausforderung ist.
Die Zeiten, in denen strikte, festgelegte Karrierepfade das Nonplusultra waren, sind vorbei. Stattdessen rücken Recruiter vermehrt Kompetenzen und Potenziale in den Vordergrund. Das Mindset der Bewerbenden spielt eine zentrale Rolle. Wie Zimmermann betont: „… Neugierde und Offenheit, immer wieder Neues zu lernen und auszuprobieren – genau das ist es, was wir in Zeiten der Arbeiterlosigkeit brauchen.“
Quereinstieg als Chance begreifen
Quereinsteigende sind weit mehr als ein Trend. Sie sind ein notwendiges Mittel, um die Lücken zu füllen, die der Fachkräftemangel aufreißt, und ein Potenzial, das Unternehmen für sich nutzen sollten. Wer heute noch darauf beharrt, starr an alten Rekrutierungsprozessen festzuhalten, könnte morgen schon den Anschluss verlieren.
Recruiter*innen und Unternehmen sollten daher eine offene Haltung gegenüber Quereinsteigenden entwickeln und ihre Strategien an die Realität eines flexibleren Arbeitsmarktes anpassen. Nur so können sie sicherstellen, dass sie auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben und die besten Talente – unabhängig von ihrem beruflichen Hintergrund – für sich gewinnen.