New Leadership und Personalauswahl: Die Anforderungen an Führungskräfte ändern sich

New Leadership und Personalauswahl
Bild: zeag/Feige

Digital, demokratisch und innovativ, ohne Hierarchiestufen und ohne klassische Führungskräfte, alles viel spaßiger und mitarbeiterfreundlicher. So die oft skizzierte schöne neue Arbeitswelt, in die sich früher oder später alle Unternehmen transformieren (müssen). Denn, so wird ebenfalls gerne behauptet, solch moderne Unternehmen überholen in allen Belangen die Arbeitgeber, die noch traditionelle Führungskonzepte anwenden.

Die aktuelle „Top Job“-Trendstudie der Universität St. Gallen und des Zentrums für Arbeitgeberattraktivität (zeag) “New leadership” räumt mit Märchen der neuen Arbeitswelt auf.  Wir haben dazu mit Dr. Wolfgang Feige, TOP JOB-Berater und mit der Studie sowie der Unternehmenspraxis bestens vertraut, ein Interview geführt. Dabei haben wir ihn auch gefragt, was die Erkenntnisse der Studie für das künftige Recruiting von Führungskräften bedeuten. Lesen Sie selbst.


Rekrutierungserfolg.de: In Ihrer Studie “New Leadership” hinterfragen Sie kritisch einige Mythen rund um Führung, die sich im Zusammenhang mit den Veränderungen der Arbeitswelt ergeben. Eine These ist ja immer wieder, dass moderne Führung Führungskräfte überflüssig macht. Dem scheint ja so nicht zu sein. Aber nach den Studienergebnissen braucht es eine andere Art von Führung, nämlich ein Tandem aus geteilter und inspirierender Führung. Können Sie kurz erläutern, was Sie darunter jeweils verstehen?

Dr. Wolfgang Feige: Den Chef einfach abzuschaffen wird – wie die allseits bekannte These besagt – gerne als das verlockende Erfolgsrezept der Zukunft verkauft. Tatsächlich kann es durchaus erfolgreich sein, den Mitarbeitenden und Teams eigene Verantwortungsbereiche und Entscheidungsbefugnis zu übertragen und die Führungskräfte von ihren klassischen Aufgaben zu entbinden. Im Vergleich zur traditionellen Führungsform steigt die Mitarbeiterproduktivität um 18%, so zeigt es die Studie. Die Führungskraft schafft dann nur noch den Rahmen und achtet darauf, dass die Mitarbeitenden die richtige Entwicklung nehmen, um eigenverantwortlich handeln zu können. Hier sprechen wir dann von einer geteilten Führung, der sogenannten 180° horizontal Leadership, einer Facette der modernen Führung.

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Die andere Seite, die den Titel ‘180° vertical Inspiration’ oder auch ‘inspirierende Führung’ trägt, stellt das Sinnerleben in der täglichen Arbeit in den Vordergrund. Anstatt einfach zu “en-chef-isieren”, wird hier die Art der Führung verändert: Eine gemeinsame Vision steigert das Sinnerleben und macht das ‘Warum’ und ‘Wofür’ in der Arbeit deutlich. Kurz und knapp, durch die Verankerung von konkreten Zielen und Aufgaben erhält die Arbeit für den Mitarbeitenden Sinn und setzt damit Motivation und Dynamik frei. Dabei ist die Vorbildfunktion der Führungskraft stark gefragt.

Die Kombination aus den beiden Führungsstilen ist die Königsdisziplin, ergo die Erfolgreichste der modernen Führung, die sogenannte 360° Leadership. Moderne Führung macht Führungskräfte also definitiv nicht überflüssig, nur der “Job” ändert sich in Zukunft. Und er ist anspruchsvoll, denn es benötigt Führungspersönlichkeiten, welche sowohl die große Richtung und das Warum vorgeben, die notwendige Unterstützung bereitstellen – “Leitplanken”, Infrastruktur und Budget – als auch in der Lage sind, professionelles Feedback zu geben.

Rekrutierungserfolg.de: Was bringt Unternehmen eine solche Führungskultur?

Dr. Wolfgang Feige: Die Königsdisziplin ist zunächst einmal eine Herkulesaufgabe, die sich jedoch lohnt, das zeigt die neue Trendstudie. Denn mit der Kombination von geteilter und inspirierender Führung sind Unternehmen auch auf lange Sicht leistungsstärker (+13%), produktiver (+25%) und innovativer (+11%), als die, die traditionell im Laissez-fair-Stile führen. Man könnte es auch eine Win-Win-Situation für Führungskräfte und Mitarbeiter und schlussendlich für die gesamte Unternehmung nennen.

Rekrutierungserfolg.de: Wenn Hierarchien aufgelöst, Netzwerke, geteilte Verantwortung im Team, abteilungsübergreifendes Arbeiten etc. an Bedeutung gewinnt, welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen denn dann Führungskräfte künftig, um diese Art von Führung auch umsetzen und leben zu können?

Dr. Wolfgang Feige: Auch Führungskräfte müssen sich an die sich verändernde Führung gewöhnen, ständig an sich arbeiten und können moderne Führung nicht von heute auf morgen. Ich rate Unternehmen gerne zu den sogenannten ‘Drei F’s’ der modernen Führung, an denen sie sich orientieren können:

  • In erster Linie ist es wichtig, einen Frame bzw. Rahmen zu setzen, indem Visionen entwickelt und strategische Verknüpfungen gemacht werden. Daraus ergeben sich klare Ziele, die ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende immer wieder die Hintergründe und das WARUM des Handelns erkennen.
  • Weiterhin müssen Führungskräfte Mitarbeitenden Freiraum gewähren, indem sie delegieren, loslassen und vertrauen, sie aber gleichzeitig auch coachen und den übergeordneten Rahmen koordinieren.
  • Zu guter Letzt ist das Geben von Feedback ein wichtiger Punkt. Die Führungskraft sollte immer wieder in den Prozess hineinschauen und den Mitarbeitern professionelle Rückmeldung zu den bisher erreichten Ergebnissen geben. Dabei ist eine einfühlsame Kommunikationsweise der Schlüssel zum Erfolg.

Rekrutierungserfolg.de: Was heißt das für das Recruiting und die Auswahl von Führungskräften? Was muss sich da im Vergleich zu heute ggf. ändern?

Dr. Wolfgang Feige: Beim Recruiting von Führungskräften ist nicht mehr so stark auf das fachliche Expertentum zu achten. Es sind eher die Kompetenzen, die hinterfragt werden sollten:

  • Wie ausgeprägt ist das strategische und vernetzte Denken? Führungskräfte sollten die großen Ziele entwickeln und gleichzeitig in kleinere Unterziele herunter brechen können, sodass damit eine Vernetzung zu anderen Bereichen in der Unternehmung geschaffen wird.
  • Ist die Führungskraft bereit, kalkulierbare Risiken einzugehen? Gerade in der geteilten Führung, also der einer steigenden Verantwortungsübernahme durch die Mitarbeitenden sollte die Führungskraft in der Lage sein, einen Vertrauensvorschuss zu leisten und loszulassen. Damit geht sie natürlich aber auch das Risiko ein, das etwas nicht so wie gewünscht läuft oder mal ganz und gar schief läuft.
  • Für eine inspirierende Führung ist eine verständliche, empathische Kommunikation unerlässlich, denn die Führungskraft muss sowohl Ziele und Zielverbindungen transparent an Mitarbeitende vermitteln als auch einfühlsam Lob und Kritik geben können.
  • Und eine weitere sehr wichtige Fähigkeit ist es, persönliche Autorität und Respekt aufzubauen, da das für eine moderne Führung entscheidender sein wird als die fachliche Autorität.

Rekrutierungserfolg.de: Wo stehen die Unternehmen aktuell in Bezug auf New Leadership und wie sehen Sie die Entwicklung perspektivisch?

Dr. Wolfgang Feige: Die Studie liefert da ganz exakte Zahlen aus der gesamten Bandbreite des deutschen Mittelstands: 46% der untersuchten Firmen leben kaum einen Teil der modernen Führung, 31% haben mindestens einen Teil der modernen Führung gut implementiert und 22% leben bereits die Kombination aus geteilter und inspirierender Führung in hohem Maße.

Ich besuche viele Unternehmen im Mittelstand und sehe, dass zahlreiche Unternehmen – auch nach den firmenindividuellen Ergebnissen der TOP JOB-Untersuchung – beginnen, zunächst die inspirierende Führung bei ihren Führungskräften zu verstärken. Das ist laut der Ergebnisse der Trendstudie auch genau der richtige Weg. Denn ansonsten läuft die geteilte Führung ins Leere oder im Extremfall sogar ins Chaos. Einerseits besitzen die Führungskräfte nicht das Vertrauen zum Loslassen und auf der Seite der Mitarbeitenden gibt es kein Bewusstsein, wie sie ihre eigenen Handlungen ausrichten sollten, da das WARUM und die gemeinsame Richtung fehlt.

Wichtig ist jedoch auch, dass die Unternehmen sich nicht überhastet auf den Weg in die New Leadership machen, sondern das große Ziel der 360° Leadership über die Abzweigung ‘inspirierende Führung’ Schritt für Schritt gehen.

Rekrutierungserfolg.de: Herzlichen Dank, Herr Dr. Feige, für den Einblick in die Studie zur “New Leadership” und Ihre Einschätzungen zu künftigen Anforderungen an und den Auswirkungen auf das Recruiting von Führungskräften. Man kann ja bereits an einzelnen Beispielen sehen, dass in Verbindung mit der Umstellung der Arbeitswelten auch die Kompetenzen vorhandener Führungskräften neu bewertet und Führungspositionen ggf. neu besetzt werden. Wir sind auf die weiteren Entwicklungen gespannt und werden diese wie Sie auch weiter verfolgen.


Über Dr. Wolfgang Feige

Dr. Wolfgang Feige war mehr als 20 Jahre auf der anderen Seite des Schreibtisches unterwegs, von kleinen mittelständischen Unternehmen bis hin zum großen Pharmakonzern – überall hat er erfolgreich Führungspositionen im Personalmanagement ausgeübt. Heute hat er tagtäglich mit der ganzen Bandbreite des deutschen Mittelstandes zu tun. Viele Top Job-Teilnehmer schätzen seine Erfahrung und nutzen die Gelegenheit, die individuellen Möglichkeiten der Organisationsentwicklung mit ihm bis ins Detail durchzugehen und Einflugschneisen zu erkennen.

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Blog-Serie auf Rekrutierungserfolg.de Bessere Personalauswahl - mehr Rekrutierungserfolg
Der Beitrag ist Teil der Blog-Serie “Bessere Personalauswahl – mehr Rekrutierungserfolg”. Sie gehört zur Sommer Akademie ’18 von Rekrutierungserfolg.de und upo – Bausteine für Rekrutierungserfolg. Hier finden Sie zwischen Juni und August 2018 immer wieder frische Beiträge, Impulse, Empfehlungen und Interviews rund um die Personalauswahl. Sie wollen keinen Beitrag verpassen? Dann tragen Sie sich doch gleich in den Verteiler des Blogs ein und Sie werden über neue Beiträge automatisch informiert.
Ruth Böck
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