Ob Fragen von Bewerbern in Foren, Titel wie “10 Beweise dafür, dass Unternehmen Bewerber wie Dreck behandeln” oder Studien zur Candidate Experience – sie alle signalisieren: Bewerber wünschen sich von Arbeitgebern mehr Servicequalität im Recruiting. Wie aber ist es um die Servicequalität im Recruiting tatsächlich bestellt?
Wir haben uns die Ergebnisse von drei Studien angeschaut und leiten daraus Anregungen für konkrete Veränderungen ab, die spürbar mehr Servicequalität im Recruiting realisieren helfen.
Best Recruiters-Studie: Erreichbarkeit und Auskunftsbereitschaft gut, aber wenig eigenes Interesse am Bewerber gezeigt
Die Studie wird in der DACH-Region durchgeführt und bewertete 2014 das Recruiting von 516 Unternehmen in 4 Säulen, darunter der Umgang mit Bewerbern. Zur Analyse wurden “Selbstversuche” durchgeführt: es wurden Initiativbewerbungen verschickt, bei Unternehmen angerufen und nach dem Status der Bewerbung gefragt sowie Emails mit Fragen zum Unternehmen versendet.
Und das sind zusammengefasst einige Ergebnisse:
- 17% der Unternehmen in der Studie lassen Initiativbewerbungen gar nicht oder nur auf Anfrage zu. Auf die versendeten Initiativbewerbungen erfolgte bei rund einem Viertel keine Reaktion innerhalb einer Frist von 10 Werktagen, weitere 19% haben zwar den Eingang bestätigt, dann aber nicht mehr weiter reagiert. Wenn Reaktionen kamen, waren diese zwar überwiegend persönlich, aber bei nur 20% auch wertschätzend formuliert. 25% der antwortenden Unternehmen gaben keinen Ansprechpartner für potenzielle Rückfragen an.
- Die telefonische Erreichbarkeit der HR-Abteilungen war nur bei 71% der Unternehmen gegeben. Bei 21% war entweder keine Rufnummer herausfindbar, niemand erreichbar oder man wurde nicht durchgestellt. Die erreichten Ansprechpartner konnten zwar überwiegend kompetente Auskünfte geben, aber nur 38% der Angerufenen haben den Telefonkontakt genutzt, um sich für den Bewerber zu interessieren und z.B. nach Qualifikation oder Berufserfahrung gefragt.
- Beim Email-Kontakt haben 45% der angeschriebenen Unternehmen innerhalb von 10 Tagen gar nicht reagiert. Zu den angefragten Themen Kultur, Arbeitgeberleistungen und Arbeitgeberwerte wollten sich nur 58% der Unternehmen per Email äußern.
Studie HTW des Saarlandes/ Sparda Telefon-Service GmbH: Es kommt auf den Bewerber an… und womöglich auf die Organisation des Recruitings
Bei dieser Studie wurde die Servicequalität im Recruiting angelehnt an die Methode des Mystery Shopping von 45 Unternehmen verschiedener Größen und Branchen auf die Probe gestellt. Sechs fiktive Bewerberszenarien wurden aufgesetzt
- Betreuerin einer Person mit Handicap: angefragt wurde, ob eine Bewerbung mit durchschnittlichen Zeugnissen auf eine Stelle als Bürokaufmann erfolgreich sein könnte
- Controller, der auf der Suche nach einem Ansprechpartner für eine Bewerbung auf eine Stelle als Controller ist
- Bewerber ohne vollständige Unterlagen, der sich über die Notwendigkeit von Bild, Referenzen/Zeugnissen informieren will
- Fremdsprachiger Bewerber, der nur Englisch spricht
- Student mit sehr gutem Notendurchschnitt, der das Unternehmen herausfordert und danach fragt, warum das Unternehmen für ihn ein idealer Arbeitgeber sein könnte
- Ältere Bewerberin Ü55, die offensiv ihr Alter anspricht und sich für eine Mitarbeit am Empfang interessiert
und die reale Kommunikation der Unternehmen (Telefon, Email, Brief und Social Media) darauf geprüft. Die Servicequalität wurde mit klar abgegrenzten und operationalisierten Kriterien bewertet und für den Telefonkontakt erfahrene und gebriefte Mitarbeiter der Sparda Telefon-Service GmbH eingesetzt.
Ein Ergebnis ist besonders interessant:
- Im telefonischen Kontakt hatten Unternehmen insbesondere im Umgang mit fremdsprachlichen und älteren Bewerber größere Probleme, auf die Fragen der fiktiven Bewerber einzugehen. In einigen Fällen wurde einfach aufgelegt oder ins Nirwana verbunden, es gab sogar ein Beispiel, bei dem klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass 50+ keine Chance mehr hat.
Analyse von Rekrutierungserfolg: Abschottungstendenz erschwert Bewerberkontakt
Vor kurzem hat mein Kollege Karl-Heinrich Bruckschen 80 Online-Stellenausschreibungen unterschiedlicher Jobbörsen auf die Auffindbarkeit von Ansprechpartnern und Kontaktmöglichkeiten hin untersucht. Er hat analysiert, ob und welche Informationen zu Ansprechpartnern in Anzeigen, Karrierewebseiten und in Social Media zu finden sind und wie die Ansprechpartner sich dort als Recruiter präsentieren.
Zusammengefasst kommt er zu diesen Erkenntnissen:
- In 83% der Stellenanzeigen wird ein Ansprechpartner angegeben. Bei 86% der angegebenen Ansprechpartner ist auch eine Email-Adresse genannt, bei 79% eine Rufnummer. Über die Funktion/Abteilung des Ansprechpartners wird sich nur in 27% der Fälle geäußert. Einen Direktlink von Stellenanzeige zur Karrierewebseite gibt es nur in 22,5% der Fälle.
- Auf den Karrierewebseiten werden die Angaben zu Ansprechpartnern oft auf Unterseiten “versteckt”. Nur 44% der Unternehmen geben konkrete Ansprechpartner an, 81% mit Email und 77% mit Rufnummer, 42% unter Angabe der Abteilung/Funktion des Ansprechpartners.
- Im Business-Netzwerk Xing sind zwar fast 2/3 der genannten Ansprechpartner zu finden. Aber keiner hat seine Kontaktdaten für eingeloggte User oder gar die Öffentlichkeit geöffnet. Ähnlich sieht das Bild bei LinkedIn aus. Auch nutzen die Ansprechpartner die Möglichkeiten auf Xing (resp. LinkedIn) nicht, um sich aktiv als bewerberinteressierte Unternehmensvertreter zu präsentieren. Sehr wenig wird der Profilspruch oder die Rubriken “Biete”/”Suche” zur Angabe von offenen Stellen, Hinweise auf die Stellenbörse oder interessante Programme etc. genutzt. Im Gegenteil: die meisten Profile sind “standardnormal”.
Fazit: Veränderungen in der Servicequalität im Recruiting könnten Bewerberzufriedenheit steigern
Wer über Maßnahmen zur Steigerung der Candidate Experience nachdenkt, kann folgende Ansatzpunkte für mehr Servicequalität im Recruiting aus dem gerade Beschriebenen ableiten.
Initiativbewerbungen
- Die teilweise ablehnende Haltung gegenüber Initiativbewerbungen ist zu überdenken, bieten diese doch eine zweifache Chance: vielleicht passt der Bewerber auf eine aktuelle oder in Kürze vorhandene Vakanz, bewirbt sich später nochmals oder empfiehlt Sie als Arbeitgeber weiter, wenn er sich jetzt gut aufgehoben fühlt.
- Da die Zurückhaltung bzgl. Initiativbewerbungen oft mit Zeitmangel begründet wird, ist eine zentrale Stelle für die Bearbeitung von Blindbewerbungen empfehlenswert. Diese sollte einen guten Überblick über aktuelle und in Kürze anstehende Vakanzen haben. Auch die Definition eines Standardprozesses bei Initiativbewerbungen einschließlich der Festlegung von Service-Standards kann dazu beitragen, dass solche Bewerbungen nicht untergehen und zeitnah bearbeitet werden.
- Auch Absagen auf Initiativbewerbungen sollten wertschätzend formuliert werden. Dazu beitragen kann das erkennbare Aufgreifen der konkreten Bewerbung (z.B. durch Wiedergabe des Betreffs oder einer Zusammenfassung der Bewerbungsmotivation), das Eingehen auf die Mühe/investierte Zeit zur Erstellung der Bewerbung und das Interesse am Unternehmen sowie das bewusste offenhalten der “Tür” für eventuell spätere Kontakte. Semi-standardisierte Korrespondenzvorlagen erleichtern das Formulieren und haben dennoch einen individuellen Charakter.
Telefonkontakt
- Eine telefonische Erreichbarkeit sollte obligatorisch sein. Diese fängt mit Angabe einer leicht auffindbaren Rufnummer an und endet mit der Sicherstellung, dass auch jemand an das Telefon geht, der Auskunft geben kann. Dies setzt voraus, dass im Team Regelungen abgestimmt werden, wie die telefonische Erreichbarkeit sichergestellt wird. Das Einschalten einer Mailbox oder das Einbinden einer Telefonzentrale sollte die absolute Ausnahme und ein kurzfristiger Rückruf dann selbstverständlich sein.
- Oft wird auf die Angabe einer Rufnummer verzichtet, um nicht von Personaldienstleistern “belästigt” zu werden. Hier kann eine direkte Ansprache von Dienstleistern mit der konkreten Bitte um Nichtkontaktierung Abhilfe schaffen, ebenso ein Hinweis im Stellenportal.
- Im Telefonkontakt gilt es, sich besser auf unterschiedliche Gesprächspartner einstellen, um ihnen adäquat begegnen zu können. Die offensichtlich insbesondere bei ausländischen oder älteren Kandidaten bestehende Unsicherheit kann mit einschlägigen Schulungen und Coachings begegnet werden. Außerdem sollten Telefonkontakte über das reaktive Beantworten von Bewerberfragen hinaus zum Dialog mit Kandidaten genutzt werden; so lässt sich manche nicht erfolgsversprechende Bewerbung frühzeitig vermeiden und die nachfolgenden Arbeitsschritte sparen.
Online-Aktivitäten
- Hier ist ein offensiveres Auftreten angezeigt. Ansprechpartner und Informationen zum Ansprechpartner (Kontaktdaten, Zuordnung von Funktion/Abteilung, Bild, ggf. weitere Informationen zur Person z.B. Aufgabenschwerpunkte, Betreuungsbereiche etc.) sollten auf Karrierewebseiten gut erkennbar platziert werden.
- In einschlägigen Social Media-Netzwerken sollte man als Ansprechpartner für Bewerber auffindbar sein, die Kontaktdaten freigeben und bei der Gestaltung der Inhalte des persönlichen Profils auch die Informationen bieten, die potentielle Kandidaten erwarten: welcher Hintergrund hat der Ansprechpartner, wie gut kann er/sie das Unternehmen kennen, kann er/sie mir auf Augenhöhe begegnen? Für welche Stellen/Bereiche ist er/sie verantwortlich, welche weitere Informationsquellen empfiehlt er/sie mir? Zum Hinterlegen von Informationen hierzu können z.B. auf Xing die eigene Historie, aber auch die Rubriken “Suche”/”Biete” und insbesondere das Portfolio und der Profilspruch umfänglicher genutzt werden.
Option Recruiting Service Center
Je nachdem, wie umfangreich das Recruiting in einem Unternehmen ist, kann sich auch die Einrichtung eines zentralen Inhouse Recruiting Service Centers oder die Einbindung von externen Recruiting Services vorteilhaft erweisen. In beiden Fällen ist ein gutes Schnittstellenmanagement und eine hohe Kompetenz der Mitglieder des Service Centers/Recruiting Services gefragt – sowohl was den Umgang mit Bewerbern als auch was das Wissen um Unternehmen und Vakanzen angeht. Bei entsprechender Kompetenz können auch weitere Auswahlschritte wie strukturierte Teleefoninterviews oder die Durchführung von Online-Tests/Assessments hier qualifiziert erledigt werden und so eine Entlastung für die Personaler/Recruiter bieten.
Weitere Informationen
- Weitere Quelle zu Informationen über Best Recruiters-Studie: Beitrag von Katrin Kanellos im blog job and career vom 19.11.2014
- Weitere Informationen zur Studie von HTW/Sparda Telefonservice GmbH: Appel, W./Schmimpf, M.: Gefangen in der Warteschleife, in: Personalwirtschaft 12/2014, S. 26-28
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* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.