Rund um das Thema Gehalt und Gehaltstransparenz wird im Recruiting immer wieder ein Eiertanz aufgeführt. Für Kandidaten wie für Unternehmen ist das Entgelt ein entscheidender Faktor, ob man zusammenkommt. Aber darüber offen sprechen fällt schwer. Einschlägige Studien zeigen, dass Kandidaten sich mehr Informationen über Verdienstmöglichkeiten wünschen. Die Praxis zeigt, dass viele Arbeitgeber sich damit aber zurückhalten und Augenhöhe vermissen lassen. Sie machen i.d.R. so lange wie möglich wenig konkrete Angaben, fordern aber gleichzeitig so früh wie möglich konkrete Aussagen seitens der Kandidaten ein. In einem Bewerbermarkt ist die Kommunikation des Arbeitgebers über die erwartbare Vergütung daher mit entscheidend dafür, ob ein Kandidat sich überhaupt bewirbt, im Laufe des Auswahlprozesses aussteigt oder am Ende den Vertrag unterschreibt. Arbeitgeber haben entlang des Recruitingprozesses verschiedene Möglichkeiten Licht ins Dunkel zu bringen, um diese Risiken zu reduzieren und als attraktiver Arbeitgeber zu punkten.
Gehalt zahlt mehr auf Arbeitgeber-Attraktivität ein als gedacht
Fragt man Arbeitnehmer ohne Vorgabe von Antwortalternativen, was für sie die wichtigsten Attraktivitätsmerkmale von Arbeitgebern sind, nennen sie Themen rund um Entlohnung und Sozialleistungen direkt hinter Arbeitsbedingungen. Allerdings ist die Zufriedenheit der Befragten mit ihrem Gehalt niedrig. 70,5% der Arbeitnehmer fühlen sich nicht angemessen entlohnt und wünschen sich von ihren Arbeitgeber diesbezüglich Verbesserungen. Dieser Wert hat sich im Vergleich zum Vorjahr noch verschlechtert. Ein adäquates Gehalt scheint also in der Praxis noch lange nicht selbstverständlich zu sein, obwohl Mitarbeiter wie Bewerber das eigentlich erwarten und ein Nichtvorhandensein die Arbeitgeberattraktivität erheblich schwächt.
Unternehmen sind sich dessen aber scheinbar noch nicht ausreichend bewusst. Sie bewerten zwar die meisten von Arbeitnehmern genannten Attraktivitätsmerkmale ebenfalls als wichtig. Sie sehen diese allerdings anders als Mitarbeiter auch bei sich als erfüllt an. Das gilt auch in hohem Maße für das Gehalt (vgl. Monster Studie Recruiting Trends 2018, Themenspecial Employer Branding).
Auch zur Bindung von Mitarbeiter ist das Gehalt eine wichtige Stellschraube. Die Attraktivität des Arbeitgebers kann durch eine Gehaltsanpassung steigen und Mitarbeiter können so im Unternehmen gehalten werden. Das zeigen die Recruiting Trends 2017 und zwar unabhängig davon, ob es sich um Mitarbeiter mit geringer Berufserfahrung (90,4%), erfahrene Mitarbeiter (79,1%) oder Mitarbeiter mit langjähriger Berufs- und Führungserfahrung (76,0%) handelt.
Fragt man Arbeitnehmer, welche Gestaltungsaspekte von Arbeit für sie im direkten Vergleich zu anderen wichtiger sind, votieren sie i.d.R. für mehr Gehalt. Das ergab eine Studie von Avantgarde Experts 2017 u.a. zu Präferenzen im Berufsleben. Bei der Wahl zwischen flexibler Arbeitszeit oder mehr Gehalt fällt die Entscheidung 37,9% zu 62,1%. Und bei der Entscheidung bessere Weiterbildungsmöglichkeiten vs. höheres Gehalt wird die Wahl noch deutlicher: 21,4% zu 78,6%. Arbeitgeber sehen das hier im übrigen auch genau umgekehrt und täuschen sich damit.
Gehalt wichtig bei Karriere-/Wechselentscheidungen
In einer anderen Studie (Manpower Global Candidate Preferences 2017) wird Vergütung mit 78% als der wichtigste Faktor bei Karriereentscheidungen von deutschen Arbeitnehmern genannt. Und diese Studie zeigt auch: 36% der Bewerber sammeln bereits vor einer Bewerbung Informationen zur Vergütung beim potenziellen Arbeitgeber.
Schaut man in die Stepstone Recruiting Insights 2017,
- fühlen sich nur 24% der Stellensuchenden im Hinblick auf ihre Informationsbedarfe ausreichend in Stellenanzeigen informiert. Als die wesentlich vermisste Information wird das Gehalt (59%) angegeben.
- Oft wird das Thema Gehalt erst im Vorstellungsgespräch thematisiert. Von den Faktoren, die Bewerber nach einen Interview davon abhalten, den Job weiter in Betracht zu ziehen, liegt das Gehalt mit 71% auf Platz 2 knapp hinter dem Eindruck vom Vorgesetzten (72%).
- Wechselanreize sind insbesondere finanzieller Natur. Von einem höheren Gehalt ließen sich 74% motivieren.
Nach einer Umfrage der Baumann Unternehmensberatung bedauern 28% der Führungskräfte ihre letzte Wechselentscheidung. Als wesentlicher Grund dafür geben sie ihre finanzielle Entwicklung an. Mehr als 60% haben sich vom neuen Job größere Gehaltssprünge erhofft – diese Enttäuschung äußern insbesondere ältere Führungskräfte und solche, deren letzter Wechsel schon länger als sechs Jahre zurückliegt.
Millennials und Digital Natives haben eigene Vorstellungen
Misterek, R./ Pieronczyk, S. haben aus der Auseinandersetzung mit der Lebens- und Erfahrenswelt der jüngeren Generationen sehr schön deren Erwartungen an ihre Entlohnung hergeleitet:
- Sie möchten gerne eine einfache und transparente Gestaltung ihrer Vergütung. Die Generationen sind es gewohnt, schnell und unkompliziert an Informationen zu kommen und Antworten zu erhalten. Daher sollte für sie auch die Zusammensetzung der Vergütung sowie die zugrunde liegenden Richtlinien, Grundsätze und Prozesse eingängig und unkompliziert sein.
- Gerechte Entlohnung sollte selbstverständlich sein – sowohl zwischen Männern und Frauen als auch im Hinblick auf verschiedene Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Unternehmen. Leistungsorientierte, individuelle Vergütungen sehen sie eher kritisch.
- Vergütung wird weiter gefasst als die reine monetäre Kompensation von Arbeitsleistung. Benefits, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitszeitregelungen etc. machen für sie ein Gesamtpaket einer Employee Value Proposition aus. Wichtig dabei ist es aber auch, dass sie dessen Wert richtig erfassen können. Dazu ist eine klare Kommunikation des Arbeitgebers auf für die jeweilige Mitarbeitergruppe relevanten Kommunikationskanälen in unterschiedlichem Detaillierungsgrad wichtig.
- Und was die Benefits angeht, bevorzugen sie flexible Modelle, die zu ihren jeweiligen Lebensumständen passen. Eine breite Palette individuell wählbarer Leistungen (Cafeteria-System), die man einfach und unkompliziert wie in einem Online-Shop “bestellen” bzw. “abbestellen” kann oder die man zusätzlich als direkte Anerkennung guter Leistungen erhält, entspricht ihren Vorstellungen.
Unternehmen sind beim Thema Gehalt und Gehaltstransparenz zurückhaltend
Schaut man auf Karriereseiten und in Stellenanzeigen, findet man kaum (konkrete) Informationen zum Gehalt. Das zeigten auch unsere eigenen Studien zur Online Recruiting Praxis von Krankenhäusern und im Mittelstand. Allenfalls sprechen Arbeitgeber von attraktiven oder leistungsgerechten Vergütungen oder üblichen Sozialleistungen. Diese allgemeinen Angaben sind jedoch nicht aussagekräftig. Sie sind damit für Kandidaten beliebig und zu Wettbewerbern nicht unterscheidbar.
Dabei geht es nicht einmal unbedingt darum, konkrete Euro-Beträge offenzulegen. Bereits Informationen über Gehaltsstrukturen und -Systeme, Beschreibungen zu Gehaltsbestandteilen, Eingruppierungen oder Tarifbindung würden einen Mehrwert liefern. Bewerber möchten z.B. wissen, wovon Gehaltsunterschiede im Unternehmen und bei vergleichbaren Jobs abhängig sind. Welche Rolle spielen z.B. der Berufs-/Studienabschluss, die Betriebszugehörigkeitsdauer oder die persönliche Leistung und wie wird diese gemessen? Gerade auch weil die Gehälter von Frauen im EU-Schnitt immer noch 16% und in Deutschland 22% unter denen von Männern liegen und auch ein Viertel der Befragten einer Umfrage zum Entgelttransparenzgesetz davon ausgeht, dass Frauen weniger als Männer verdienen, ist Geschlechtergerechtigkeit im Gehalt durchaus auch ein Informationsbedürfnis. Wissenswert ist auch, welche Faktoren Gehaltsanpassungen bedingen oder welche Benefits es für wen unter welchen Bedingungen gibt.
Ansatzpunkte für mehr Gehaltstransparenz im Recruiting
Entlang eines typischen Recruitingprozesses sind es insbesondere diese vier zentralen Stellschrauben, an denen Arbeitgeber mehr Gehaltstransparenz anbieten und so Einfluss auf ihre Arbeitgeberattraktivität nehmen können:
- Stellenanzeigen – konkretisieren, um von anderen zu differenzieren: Tarifbindung ja/nein, vorgesehene Eingruppierung in welche Tarifgruppe oder Gehaltsbandbreite, Mindestgehalt, Art der variablen Vergütung, Nennung möglicher individueller Benefits etc. und Hinweis auf Detailinformationen auf der Karriereseite (idealerweise verlinkt) – mit solchen Informationen kann man einen Unterschied machen.
- Karrierewebseite – Details und Beispiele, Visualisierungen: gleiche Informationen wie in Stellenanzeigen und darüber hinaus Details zu Vergütungsbestandteilen und der Vergütungssystematik, Referenzgehälter für verschiedene Job Families, Beispiele für typische Gehaltszusammensetzungen, Visualisierung ggf. wählbarer Benefits (Cafeteria-System), Informationen zu Gehaltsentwicklungen in der Vergangenheit, Angaben zu Gehältern nach verschiedenen sozio-demografischen Merkmalen etc. So kann sich jeder in dem Detailgrad informieren, der ihn interessiert.
- Social Media Profile – FAQ, Zahlen/Daten/Fakten, Statements: Antworten zu typischen FAQ von Bewerbern zum Thema Gehalt, Aussagen/Statements von Mitarbeitern zur Gehaltszufriedenheit bzw. Zufriedenheit mit der Gesamtkompensation ihres Arbeitseinsatzes, Grafiken/Statistiken zu Gehalt im Unternehmen, in Branche, im Benchmark zu anderen Unternehmen etc.
- Telefon-/Video-/persönliches Interview – proaktiv und individuell: aktive Information zu erwartbarem Gehalt entsprechend den individuellen Merkmalen in Bezug auf Qualifikation, Berufserfahrung, zu übernehmenden Aufgaben etc. Zumindest aber Feedback an Bewerber, ob seine Gehaltsvorstellung zu der des Unternehmens passt, zu hoch oder zu niedrig liegt
Selbstverständlich sind das nur Beispiele. Sie sollen anregen, über die Möglichkeiten des eigenen Unternehmens nachzudenken. Das Gehalt ist ein Kaufargument – auf beiden Seiten. Mit Transparenz sind natürlich auch immer Risiken verbunden. Aber diesen sind die Chancen auf mehr Bewerber und Stellenbesetzungen gegenüberzustellen. Henner Knabenreich hat in seiner Kolumne noch einen Hinweis gegeben, den man für die Zukunft im Hinterkopf behalten sollte: Nicht nur für Bewerber sind Gehaltsinformationen ein Vertrauensbeweis. Auch Google Jobs belohnt solche Informationen und spielt bevorzugt Stellenanzeigen mit Gehaltsangabe aus.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.