Konjunkturelle Entwicklung bremst Recruiting

jobtensor Studie: Recruiting in der konjunkturellen Krise

Die aktuelle wirtschaftliche Lage hinterlässt deutliche Spuren im Recruiting. Eine Umfrage der Jobbörse jobtensor.com zeigt, dass viele Arbeitgeber vorsichtiger agieren und Bewerbungsprozesse stoppen oder pausieren. Gleichzeitig steigt die Zahl der Bewerbungen und die Sorgfalt, mit der Kandidatinnen und Kandidaten ihre Unterlagen erstellen. Diese Entwicklungen deuten auf eine veränderte Dynamik auf dem Arbeitsmarkt hin, in der sich die Ausgangspositionen für Bewerbende und Unternehmen verschieben.

Arbeitgeber in Wartestellung: Zahlreiche Bewerbungsprozesse gestoppt oder pausiert

Die Ergebnisse der jobtensor.com-Umfrage, für die über 1.000 Beschäftigte im März 2025 befragt wurden, die in den letzten drei Jahren Bewerbungserfahrung gesammelt haben, sind eindeutig: Die wirtschaftliche Krise beeinflusst den Bewerbungsprozess maßgeblich. Ein Drittel (33%) der Befragten berichtet, dass mindestens ein laufender Bewerbungsprozess in den vergangenen zwei Jahren vom Arbeitgeber mit der Begründung eingestellt wurde, dass die wirtschaftliche Situation eine Einstellung nicht mehr zulasse. Bei weiteren 39% kam es vor, dass ein Einstellungsprozess aus demselben Grund zumindest auf Eis gelegt wurde. Diese Zahlen verdeutlichen eine deutliche Verunsicherung auf Arbeitgeberseite, die selbst bei bereits fortgeschrittenen Bewerbungen zu einem Stopp führen kann.

Interessanterweise zeigt sich diese defensive Haltung nicht nur in weniger gefragten Berufsfeldern. Auch Fachkräfte in sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), die in der Regel als sehr begehrt gelten, sind von dieser Entwicklung betroffen. Überdurchschnittliche 38% der befragten MINT-Beschäftigten geben an, dass auch ihr Bewerbungsprozess zuletzt mit dem Hinweis auf die wirtschaftliche Lage seitens des Unternehmens gestoppt wurde. Dies deutet darauf hin, dass die gegenwärtige ökonomische Unsicherheit branchenübergreifend zu einer vorsichtigeren Personalplanung führt.

Im Gegensatz dazu entschieden sich nur 17% der Kandidatinnen und Kandidaten selbst dazu, einen Bewerbungsprozess aufgrund der wirtschaftlichen Lage abzubrechen. Die Hauptgründe für einen Abbruch seitens der Bewerbenden lagen in unzureichenden Gehaltsvorstellungen (44%), einem negativen Eindruck vom Unternehmen (36%) oder einem besseren Angebot eines anderen Arbeitgebers (32%). Diese Motive sind klassische Gründe für das Ausscheiden von Kandidaten und scheinen von der aktuellen Wirtschaftslage weniger beeinflusst zu sein.

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Bewerbungsintensität steigt, Qualität der Unterlagen nimmt zu

Während Arbeitgeber eine abwartende Haltung einnehmen, intensivieren viele Kandidatinnen und Kandidaten ihre Jobsuche. 37% der Befragten geben an, aktuell mehr Bewerbungen zu versenden als noch vor zwei Jahren. Besonders Männer zeigen sich hier mit 42% deutlich aktiver auf dem Arbeitsmarkt als Frauen mit 32%. Diese erhöhte Bewerbungsaktivität ist ein nachvollziehbarer Reflex auf die schwierigeren Marktbedingungen.

Bemerkenswert ist jedoch, dass mit der steigenden Anzahl der Bewerbungen auch die Sorgfalt bei der Erstellung der Unterlagen zunimmt. Insgesamt geben 41% aller Bewerbenden an, sich derzeit mehr Mühe mit ihren Bewerbungsunterlagen zu geben als zuvor. Dies geschieht aus gutem Grund, denn mehr als die Hälfte (52%) der Befragten hat das Gefühl, dass Arbeitgeber heute deutlich selektiver einstellen als noch vor zwei Jahren. Diese Wahrnehmung führt dazu, dass Kandidatinnen und Kandidaten versuchen, sich durch qualitativ hochwertige Bewerbungen von der Konkurrenz abzuheben.

Auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern: 49% der männlichen Bewerber legen aktuell mehr Wert auf die Qualität ihrer Unterlagen als in wirtschaftlich besseren Zeiten, verglichen mit 35% der Frauen. Diese Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass Männer die veränderte Wettbewerbssituation stärker wahrnehmen oder andere Strategien verfolgen, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Wirtschaftliche Unsicherheit als Treiber für Jobsuche und veränderte Erwartungen

Die aktuelle wirtschaftliche Lage hat nicht nur Auswirkungen auf den laufenden Bewerbungsprozess, sondern ist für viele auch ein direkter Anlass für die Jobsuche. Fast ein Viertel (23%) der Befragten gibt die wirtschaftliche Situation als einen Grund für ihre berufliche Neuorientierung an. Bei MINT-Talenten ist dieser Anteil mit 29% sogar noch höher. Dies zeigt, dass die Angst vor Jobverlust oder die Suche nach einem stabileren Arbeitsplatz in unsicheren Zeiten viele Menschen dazu bewegt, sich aktiv nach neuen Perspektiven umzusehen.

Interessanterweise ist die wirtschaftliche Situation als Kündigungsgrund fast genauso relevant wie die Unzufriedenheit mit der Führungskraft (24%). Der Top-Grund für eine Bewerbung bleibt jedoch weiterhin die angestrebte Gehaltserhöhung (43%). Dennoch verdeutlichen die genannten Zahlen, dass die wirtschaftliche Stabilität eines Unternehmens für viele Bewerbende an Bedeutung gewonnen hat.

Diese veränderte Situation schlägt sich auch in den Erwartungen der Bewerbenden an potenzielle Arbeitgeber nieder. 45% der Befragten geben an, dass sich ihre Erwartungen durch die Krise verändert haben. Dies könnte Aspekte wie Jobsicherheit, Unternehmenskultur und transparente Kommunikation in Krisenzeiten umfassen.

Chance für Unternehmen: Selektivere Auswahl und Zugang zu Fachkräften

Für Unternehmen ergibt sich aus der aktuellen Lage auch eine Chance. Durch die größere Anzahl an Bewerbungen und die vorsichtigere Haltung vieler Wettbewerber können sie ihren Recruitingprozess wieder selektiver gestalten. Thomas Hense, Geschäftsführer von jobtensor.com, betont in diesem Zusammenhang, dass Unternehmen, die jetzt antizyklisch einstellen, eine größere Auswahl haben – auch und gerade bei früheren Mangelprofilen. Die höhere Qualität der Bewerbungsunterlagen und die größere Bereitschaft von Fachkräften, sich zu bewerben, können es Unternehmen erleichtern, die passenden Talente für ihre Vakanzen zu finden.

Die Ergebnisse der Umfrage unterstreichen die These, dass sich das Kräfteverhältnis auf dem Arbeitsmarkt verschoben hat. Während in Boom-Zeiten hochqualifizierte Talente oft in einer starken Verhandlungsposition waren und die Spielregeln im Bewerbungsprozess mitbestimmen konnten, wird es für sie nun anspruchsvoller. Sie müssen sich stärker bemühen, um sich in einem wettbewerbsintensiveren Umfeld durchzusetzen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Recruitingstrategien möglicherweise anpassen müssen, um die Gunst der Bewerbenden weiterhin zu gewinnen, auch wenn die Auswahl größer ist.

Der Arbeitgebermarkt als Chance für antizyklisches Recruiting

Die aktuelle wirtschaftliche Krise hat einen erheblichen Einfluss auf den Bewerbungsprozess und das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Bewerbern. Viele Unternehmen reagieren mit einer abwartenden Haltung und stoppen oder pausieren Einstellungsverfahren. Gleichzeitig steigt die Bewerbungsintensität und die Sorgfalt der Kandidaten bei der Erstellung ihrer Unterlagen. Die wirtschaftliche Unsicherheit ist für viele ein direkter Anlass für die Jobsuche und führt zu veränderten Erwartungen an Arbeitgeber. Für Unternehmen ergibt sich daraus die Chance, selektiver zu rekrutieren und auch in Mangelberufen eine größere Auswahl an qualifizierten Fachkräften zu finden. Es zeigt sich eine Verschiebung der Dynamik auf dem Arbeitsmarkt, in der Bewerber sich stärker engagieren müssen, während Unternehmen die Möglichkeit haben, ihre Auswahlprozesse zu optimieren. Diejenigen Unternehmen, die die veränderten Bedürfnisse der Bewerbenden verstehen und antizyklisch agieren, können gestärkt aus dieser Phase hervorgehen.