Was gibt es nicht alles an Dresscodes für Bewerber. Kaum ein Magazin oder Job-Portal kommt ohne aus. Wenn man dann aber mal die Seite wechselt, kann man beobachten, dass manche Recruiter und Recruiting Manager ihrer eigenen Kleidung in Vorstellungsterminen scheinbar wenig Aufmerksamkeit schenken. Da fragt man sich schon, ob sich die Arbeitgebervertreter ihrer Wirkung auf die Bewerber und die Auswahlsituation bewusst sind. Hier drei Beispiele:
Underdressed, overdressed, mixed dressed
Letzten Sommer unterstützten wir das Service-Center einer Bank bei der Durchführung von ACs. Gesucht wurden Bankkaufleute bzw. Fachkräfte mit Erfahrungen aus der Kundenberatung im Bankenumfeld. Einer der teilnehmenden Teamleiter erschien in Bermuda, das Hemd locker über der Hose und Flipflops. Ein anderer Teamleiter hatte sich zwar “in Schale geworfen”, aber: Sein Sakko war ziemlich zerknittert, um seinen Bauchansatz spannte ein Hemd und darüber baumelte eine schmale Lederkrawatte. Gut, es gab in diesem Unternehmen keinen typischen Dresscode, weil der Kundenkontakt ja ausschließlich schriftlich und telefonisch erfolgt. Aber so standen sich bewerbungs- / banktypisch gekleidete Bewerber und lässig bzw. nachlässig gekleidete künftige Führungskräfte gegenüber.
In einem anderen Unternehmen konnte ich einen umgekehrten Fall erleben. Ich nahm an einem Bewerbertag für gewerbliche Ausbildungsberufe teil. Mit an Bord war auch die (neue) Ausbildungsverantwortliche. Sie hatte sich zur Feier des Tages besonders herausgeputzt: klassisches hellgraues Kostüm, weiße Bluse, Perlenkette und Pumps – und passte so gar nicht neben die am Bewerbertag ebenfalls teilnehmenden Meister in Kittel, Hemd und Jeans.
Und noch ein dritter Fall: Als Moderatorin eines Potenzial-AC einer Unternehmensberatung hatte ich es mit einer rein männlich besetzten Beobachterrunde zu tun. Während des Tages stiegen die Temperaturen, einzelne der Herren lockerten ihre Krawatte, andere zogen das Jackett aus, wieder andere blieben bei der gewohnten Kleiderordnung. Der männliche Bewerber – korrekt gekleidet – geriet zunehmend erkennbar ins Schwitzen, behielt aber Krawatte und Jackett an.
Falsche Kleidung erzeugt Störgefühl
Für alle drei Fälle gilt: Beide Seiten hatten ein Störgefühl:
- Im ersten Fall haben die Bewerber erwartet, dass sich eine Führungskraft eines Finanzdienstleistungsinstituts – auch wenn es sich um ein Service-Center handelt – eher im Business-Look kleidet. Sie verbanden bewusst oder unbewusst, berechtigt oder unberechtigt damit auch Kompetenz, Macht, Seriosität etc. Mit ihrer Kleidung haben die beiden teilnehmenden Teamleiter nicht den Erwartungen der Bewerber entsprochen, ihre Führungsposition optisch nicht unterstrichen und ihre Akzeptanz eher geschwächt.
- Im zweiten Fall waren die Jugendlichen über das eher feine und sterile Aussehen der Ausbildungsleiterin irritiert, sie suchten wenig Kontakt zu ihr und orientierten sich klar an den Meistern. Auch die Ausbildungsleiterin merkte im Verlauf der Gespräche, dass es ihr schwer fiel, “einen Draht” zu den Ausbildungsplatzbewerbern zu bekommen.
- Im Fall Nr. 3 wusste der Bewerber nicht so recht, wie er das unterschiedliche Verhalten der Beobachter einordnen sollte. Im Beobachterteam war klar: wenn Herr M. als oberster Vorgesetzter das Jackett ablegt oder die Krawatte lockert, können die andere nachziehen, wenn sie mögen. Sie waren auch erstaunt, warum der Bewerber so lange an Jackett und Krawatte festgehalten hatte, obwohl es ihm offensichtlich doch sehr warm war.
Damit die Kleidung von Arbeitgebervertretern nicht unnötiger Weise die Kennenlernsituation beeinträchtigt, hier ein paar Praxistipps:
- Achten Sie als Personaler/Recruiter oder Recruiting Manager bei Bewerbungssituationen nicht nur beim Bewerber auf eine angemessene Kleidung, sondern auch bei sich selbst. Am besten versetzten Sie sich in die Situation der Bewerber: welche Informationen haben diese über in Vorstellungsgesprächen bzw. branchen- bzw. aufgabenadäquate Kleidung. So werden die Kandidaten sich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch selbst kleiden. Orientieren Sie sich daran, dann wird die Diskrepanz in der Kleiderwahl gering sein und keine Störgefühle erzeugen.
- Geben Sie auf Ihrer Internetseite authentische Einblicke in den Arbeitsalltag: ob Bilder oder Videos – hier können sich Bewerber ein Bild machen, wie Mitarbeiter üblicherweise im Unternehmen gekleidet sind.
- Wenn es in ihrem Unternehmen einen bestimmten Dresscode gibt oder Sie einen lockeren Kleidungsstil pflegen, dann informieren Sie Ihre Bewerber doch im Vorfeld einfach darüber. Dann können diese sich an die jeweilige Kleiderordnung anpassen und erleben keine unschönen Überraschungen.
- Wenn es im Sommer besonders warm ist, machen Sie es sich und ihren Bewerbern nicht unnötig schwer. Die Leistungsfähigkeit und damit auch die Fähigkeit, ein vernünftiges Gespräch zu führen und dieses anschließend solide zu bewerten, nimmt mit steigenden Temperaturen ab. Lockern Sie dann ruhig einmal bestehende Kleiderordnungen und sprechen Sie Ihre Bewerber aktiv an, das auch zu tun: ob bereits in der Einladung oder vor Ort.
So zeigen Sie Wertschätzung Bewerbern gegenüber, denn Sie signalisieren durch Ihre eigene Kleidung und die aktive Kommunikation dazu, wie wichtig es Ihnen ist, dass Ihre Bewerber sich bei Ihnen wohlfühlen. Auch das zahlt auf eine positive Candidate Experience ein!
Bildquelle: © FotolEdhar – Fotolia.com
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.