Bei Beurteilungen von Bewerbern ist es wie mit dem Nikolaus: Lob und Tadel vom Nikolaus bezieht sich meist auf das Verhalten in den letzten Wochen vor dem 6.12. – und so bleiben auch die letzten Beobachtungen in Gesprächen oder einem AC besser haften als die ersten und beeinträchtigen unser Urteil stärker.
Es handelt sich also um eine Beurteilungsverzerrung – und diese ist längst nicht die einzige, der wir bei der Auswahl von Bewerbern unterliegen. Hier haben wir ein paar wesentliche Beobachtungs- und Bewertungsfehler bei der Personalauswahl zusammengestellt und geben ein paar Tipps zur Reduzierung dieser Fehler.
Reihenfolgeeffekte:
Neben dem Nikolauseffekt (auch Recencyeffekt) sind noch diese zu nennen:
- Primacy-Effekt (erster Eindruck): Punkten Bewerber gleich am Anfang eines Gespräches oder in den ersten Übungen, neigen Beurteiler dazu, weniger gute Leistungen im Verlauf des Gespräches/AC weniger kritisch zu sehen.
- Abfolge-Effekt: Startet man gleich mit einem guten Bewerber, werden objektiv schlechtere Bewerber anschließend gerne deutlich schlechter bewertet als wenn der erste Bewerber nicht besonders überzeugend gewesen wäre und umgekehrt.
Zusammenhangseffekte:
- Nähe-/Sympathie-Effekt: Bewerber, die Ähnlichkeiten zu einem selbst aufweisen (z.B. ähnlicher Werdegang, gleiche Hobbys, Herkunftsort, Studiengang etc.) oder in das “persönliche Beuteschema” passen, neigt man besser zu beurteilen als andere Bewerber.
- Halo-Effekt: Hat ein Bewerber ein zentral auffälliges Merkmal (z.B. Auftreten, Aussehen, Stimme, Alter,Titel), überstrahlt dieses gerne das Gesamturteil und lässt andere Merkmale deutlich schwächer wirken.
Verteilungseffekte:
- Tendenz zur Mitte: Einige Beobachter neigen gerne dazu, nicht das gesamte Bewertungsspektrum auszuschöpfen und Extrembewertungen zu vermeiden.
- Milde-/Strengeeffekt: Andere Beobachter hingegen nutzen bevorzugt Extrembeurteilungen – entweder, weil sie Bewerber stets in einer Sondersituation sehen und daran glauben, dass jeder sich entwickeln kann oder weil sie besonders kritisch sein wollen, um bei der Auswahl keine Fehler zu machen.
Belastungseffekte:
- Neigung zur Vereinfachung: Um sich mit einer Vielzahl von Beobachtungen nicht lange auseinandersetzen zu müssen, tendiert man dazu, die Vielzahl an gewonnen Beobachtungen zu reduzieren und Einzelbeobachtungen zu generalisieren. Dies geschieht insbesondere dann gerne, wenn man eine größere Zahl an Bewerbern zeitgleich oder hintereinander kennenlernt.
- Pygmalion-Effekt: Hat man bereits vor der Bewertungssituation ein erstes Urteil über einen Bewerber gefällt (z.B. durch Unterlagen, Informationen Dritter etc.), fokussiert man gerne seine Beobachtung darauf, Bestätigungen zu finden. Andere Beobachtungen werden tendenziell ausgeblendet.
- Übernahme-Effekt: Man neigt dazu den Bewertungen anderer Beurteiler zu folgen – teilweise weil man glaubt, dass diese noch konzentrierter sind oder weil man nicht mehr in die Diskussion gehen möchte.
6 Ratschläge zur Reduktion von Beobachtungsfehlern und für eine bessere Personalauswahl:
- Bewusstsein schaffen: Dies kann einerseits durch Interviewer- und Beobachterschulungen im Vorfeld geschehen als auch durch regelmäßiges Coaching von Interviewern und Beobachtern. Aber auch in konkreten Bewertungssituationen sollte man offensichtliche Beobachtungsfehler offen thematisieren.
- Systematisch statt sporadisch Antworten/Beobachtungen dokumentieren: Wer sich in einem Interview nur ein paar Stichworte oder weniger notiert, kann sich später kaum an Details erinnern und eine differenzierte Bewertung vornehmen. Beim Notieren sollte man sich auf die Aussagen/Beobachtungen fokussieren und nicht bereits Bewertungen aufschreiben (Trennen von Beobachtung und Bewertung). Damit nicht alle Interviewer/Beobachter nur mit Schreiben beschäftigt sind, kann man sich auch auf einen Protokollanten einigen.
- Beurteilungsbögen verwenden: Um eine möglichst objektive Auswahl vorzunehmen, empfehlen sich Beurteilungsbögen. Diese sollten die wesentlichen zu messenden Anforderungen, ein Bewertungsraster sowie Verhaltensanker enthalten.
- Unabhängige Bewertungen vornehmen: Jeder Interviewer/Beobachter sollte n a c h dem Gespräch/AC für sich eine Bewertung vornehmen und dafür einen Beleg anhand einer Aussage oder Beobachtung an der Hand haben. Erst in einem zweiten Schritt sollte dann eine Diskussion unter den Interviewern/Beobachtern stattfinden und ein Gesamturteil gefunden werden.
- Klare Entscheidungsregeln festlegen: Es sollten klare Spielregeln für die Auswahlentscheidung gelten. Welche Bewertungen sind no go´s, welche tolerabel? Wie sind die Anforderungen untereinander zu gewichten? Wer ist Moderator, fordert Bewertungen ein, hinterfragt und vermittelt? Wer ist letztlich Entscheider?
- Spielregeln für den Auswahlprozess definieren: Wer nimmt an der Auswahl teil? Wer erhält vorab welche Informationen? Wie sind die Rollen verteilt? Wann wird die Bewertung/Beurteilung vorgenommen?
Bei allen guten Tipps – man muss sich stets bewusst sein, dass jeder dem Risiko von Beobachtungs- und Beurteilungsfehlern unterliegt. Wie stark aber die Effekte auf die Personalauswahl durchschlagen, hängt vom Bewusstsein des Einzelnen, der Offenheit im Team der Interviewer/Beobachter und den organisatorischen Vorkehrungen ab.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.