Vor kurzem traf ich unsere Nachbarin. Sie kam gerade vom Einkaufen zurück und zeigt mir stolz, dass sie noch das Angebot mit den pinken OnEar-Kopfhörern ergattern konnte. Die möchte sie ihrer Tochter gerne zu Nikolaus schenken. Die sei zwar in den letzten Monaten oft ein echtes Biest gewesen. Aber seit zwei, drei Wochen wäre sie wie ausgetauscht: sie räumt die Spülmaschine aus, saugt ihr Zimmer und letzten Sonntag hätte sie sogar von sich aus angeboten, zum Frühstück Brötchen beim Bäcker zu holen. Ich merkte die positive Stimmung meiner Nachbarin und hörte sie sagen: vielleicht tragen die Kopfhörer ja dazu bei, dass das noch etwas anhält.
Warum ich das hier erzähle?
Weil wir dieses Phänomen auch im Recruiting und beim Treffen von Einstellungsentscheidungen kennen: Der Nikolaus-Effekt. Frische Eindrücke bleiben besser haften als länger zurückliegende Eindrücke und führen dann zu erwünschtem Verhalten beim Gegenüber.
Verschiedene Facetten des Nikolaus-Effekts
Der Nikolaus-Effekt kann sich in verschiedenen Formen bei Personalauswahl-Entscheidungen zeigen. Wenn zum Beispiel Entscheidern die zuletzt geführten Interviews noch präsenter sind als bereits vor längerem geführte Gespräche und dadurch jüngst als gut bewertete Bewerbende eine größere Einstellungschance erhalten als Bewerbende, an die die Erinnerung schon etwas verblasst ist. Oder wenn die letzten Fragen und Antworten in einem Interview deutlich stärker nachhallen und die Bewertung eines Bewerbenden mehr beeinflussen als die ersten Fragen. Oder dass Bewerbende bewusst in Vorstellungsgesprächen erwünschtes Verhalten zeigen/ erwünschte Antworten geben. Und dadurch Pluspunkte bei Entscheidern sammeln, die die zuvor gesehenen kritischen Punkte in ihrem Werdegang/ ihren Unterlagen vergessen machen.
Aber leider heißt das nicht zwangsläufig, dass z. B. Bewerbende, deren positiver Eindruck noch frisch ist, auch die besser passenden Kandidaten sind. Oder dass die ausgewählten Kandidaten, die sich von ihrer besten Seite gezeigt haben, tatsächlich auch das erwartete Verhalten nach Einstellung präsentieren werden. Das gilt für Nachbars Tochter ebenso wie für Bewerbende.
Nomen est omen: Auch andere Beurteilungs- und Bewertungsfehler haben einschlägige Namen
Der Nikolaus-Effekt ist einer von verschiedenen anderen typischen Beurteilungs- und Bewertungsfehlern, denen man im Laufe des Auswahl- und Einstellungsprozesses “auf den Leim gehen” kann. Viele davon haben so eingängige Namen wie der Nikolaus-Effekt. Das hilft dabei, sie sich zu merken und stärker für die möglichen Beurteilungsfehler sensibilisiert zu sein.
Hier noch ein paar Beispiele:
- Pygmalion-Effekt – auch Self-Fulfilling-Prophecy-Effekt genannt: Entscheider, die z.B. über eine Empfehlung oder Recherche im Netz vorab Informationen über eine sich bewerbende Person erhalten, schreiben dieser Person je nach Vorabinformation bereits bestimmte Kompetenzen oder Verhaltensweisen zu. Im Auswahlverfahren suchen sie dann unbewusst nach Bestätigungen dafür. So werden ggf. Fragen entsprechend formuliert oder weggelassen oder sich nur die Punkte notiert bzw. gemerkt, die die Vorabmeinung unterstreichen.
- Halo-Effekt – auch Heiligenschein-Effekt: Hier überstrahlt eine erkennbare Eigenschaft einer sich bewerbenden Person alle andere Eigenschaften dieser Person. Diese werden dann entweder gar nicht mehr wahrgenommen oder ihre Bedeutung stark in den Hintergrund geschoben. Oder es wird oft von der einen positiven oder auch negativen Eigenschaft ein Rückschluss auf andere Eigenschaften gezogen, ohne dass dafür eine Grundlage gegeben wäre. So werden z.B. attraktive Personen häufiger als intelligent, leistungs- oder durchsetzungsstark bewertet. Oder Menschen mit guten Umgangsformen wird ohne Beleg dafür gleich auch sicheres Auftreten und ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit zugeschrieben.
- Klebe-Effekt: Personen, die in ihrem Werdegang keine Beförderungen oder ergänzende Verantwortungsübernahmen vorweisen können oder bereits sehr lange beim gleichen Arbeitgeber arbeiten, werde gerne am als wenig leistungsbereit oder engagiert beurteilt. Dass auch andere Gründe für das “Klebenbleiben” möglich sind, wird ausgeblendet.
- Lorbeer-Effekt: Hat eine sich bewerbende Person bereits in der Vergangenheit einige Erfolge im Job vorzuweisen, wird ihr tendenziell eher unterstellt, auch in einem neuen Job erfolgreich zu sein. Auch wenn hier ggf. gänzlich andere Rahmenbedingungen oder Anforderungen gelten.
Solche Effekte können zu eklatanten Fehlentscheidungen bei der Personalauswahl führen. Du möchtest auf solche Effekte nicht reinfallen und die Fehler vermeiden? Dann habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Man kann sehr viel dafür tun, solche Fehler möglichst zu vermeiden. Aber es gibt kein Allheilmittel, sie gänzlich zu vermeiden.
Mit diesen 3 Ansätzen lassen sich Nikolaus-Effekt & Co. aber erheblich reduzieren
Kompetenzsteigerung der Recruiting-Beteiligten durch Schulungen
(Interview-) Schulungen, die die verschiedenen Beurteilungs- und Bewertungsfehler thematisieren und mit plastischen Beispielen ergänzen, stärken die Sensibilität für solche “Fallen” erheblich. Ich erlebe immer wieder – gerade auch in Trainings von Führungs-(nachwuchs)kräften sowie Recruiting-Startern – wie Teilnehmende sich plötzlich bei dem einen oder anderen Effekt selbst wiedererkennen. Oder wie sie in anschließenden Coachings zu Live-Situationen selbst erkennen, welchem Effekt sie gerade auf den Leim gegangen sind. So sensibilisiert, baut sich eine stärker Aufmerksamkeit für das eigene Verhalten bei der Personalauswahl auf. Und auch die Bereitschaft zur Nutzung von objektivierenden Instrumenten wie ABC-Analyse, Interviewleitfaden/ Bewertungsraster oder das Mehraugenprinzip wächst. Ein Beispiel, wie es gelungen ist Führungskräfte für strukturierte Interviews zu gewinnen, findest du hier.
Verwendung von Interviewleitfäden und darauf angepassten Beurteilungsrastern
Interviewleitfäden, die eine Reihe von jobbezogenen, anforderungsorientierten Fragen vorsehen, ermöglichen es Interviewern strukturierter und vollständiger relevante Interviewfragen zu stellen, die Antworten systematisch zu notieren und anschließend objektiver miteinander zu vergleichen. Wenn dazu dann noch ein Bewertungsraster verwendet wird, das die Antworten einordnen hilft, reduziert dies die o.g. Effekte erheblich. Das gleiche gilt übrigens auch für die Vorauswahl von Kandidaten anhand von Bewerbungsunterlagen mit Hilfe von ABC-Rastern.
Mehraugenprinzip und kollegiales Coaching
Auswahlentscheidungen, die im Mehraugenprinzip gefällt werden, helfen Beurteilungs- und Bewertungsfehler zu reduzieren/ zu relativieren. Einerseits gibt es zu vielen Effekten auch einen Gegeneffekt. So kann es z.B. sein, dass die eine Person eher z.B. zum Milde-Effekt, die andere zum Strenge-Effekt neigt und man durch den Austausch über die Bewertung zu einer ausgeglicheneren Bewertung kommt. Andererseits ermöglicht das Zusammenspiel von mehreren Personen auch, dass man sich gegenseitig darauf aufmerksam machen kann, wenn sich gerade ein Beurteilungs-/ Bewertungsfehler einzuschleichen droht.
Weitere Tipps haben wir in einem früheren Artikel zusammengestellt.
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* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.