“Können Sie uns nicht ein Bewerbermanagement-System empfehlen?” Die Frage wird uns oft gestellt, wenn Arbeitgeber mit uns über Recruiting-Optimierung sprechen und das Thema technische Unterstützung der Personalauswahl unweigerlich auf den Tisch kommt. Die Frage ist fast so gut, wie die Frage “Können Sie uns nicht ein Auto, Hotel, Restaurant, Arzt, … empfehlen?” Es kommt eben drauf an.
Bewerbermanagement-Systeme (BMS) gibt es viele. Ein Blick ins Internet oder auch ein Besuch auf einer Personal-Fachmesse fördert schnell über 40 in Deutschland gängige Lösungen zu Tage. Kein Wunder, dass Arbeitgeber da die o.g. Frage aufwerfen. Denn angesichts der möglichen Funktionen, den Versprechungen manch eines Anbieters, dass schon alleine mit der Anschaffung eines BMS sich das Recruiting optimiert, und Unsicherheiten in Bezug auf Datenschutz und Digitalisierung, ist man schnell überfordert. Und dann fragt man sich: Welche Funktionen sind Pflicht, welche Kür? Worauf ist zu achten? Und braucht man ein BMS wirklich? Lassen Sie uns mal genauer hinsehen.
Mächtige Tools mit vielen Funktionen
Vor kurzem bin ich beim “Aufräumen” meiner Dateien auf ein Mindmap gestoßen, das vor mehr als 10 Jahren am Anfang eines Auswahlprojekts für ein Bewerbermanagementsystem stand. Und ich war sehr überrascht, dass die gelisteten Anforderungen auch aktuell noch passen würden. Und das angesichts der vielen Trends, die immer auf Neue gerade zum Jahreswechsel ausgerufen werden. Das liegt aus meiner Sicht daran, dass beim Grundsätzlichen im Bewerbungsprozess nur wenig Veränderungen zu beobachten sind.
Grundlegende Funktionen von Bewerbermanagement-Systemen
- Die zentralen Daten im Bewerbermanagement-System drehen sich nach wie vor um zu besetzende Stellen und Bewerber. In Bezug auf die Stellen unterstützen Bewerbermanagement-Systeme das Generieren und Schalten/ Posten von Stellenanzeigen. Auf der Bewerberseite werden Daten zu den Bewerbern und deren Bewerbungen über Bewerbungsformulare oder manuell eingespeist und verarbeitet. Und dazwischen steht das Matching und die Dokumentation zu Auswahlschritten und Entscheidungen.
- Da Recruiting in der Regel eine Teamleistung ist, braucht es grundsätzlich auch Groupware-Funktionen, wie Aufgabenverwaltung mit entsprechenden Wiedervorlagen, Terminverwaltung und Korrespondenz.
- In welchem technischen Rahmen das Bewerbermanagement laufen soll, kann sehr unterschiedlich beantwortet werden. Welche Systemumgebung vorgegeben ist, mit welchen Systemen Daten ausgetauscht werden müssen, über welche Endgeräte der Zugriff ermöglicht werden soll, sind nur ein paar wenige, wenn auch wichtige Fragen.
- Dagegen sind die rechtlichen Vorgaben durch den Datenschutz und IT-sicherheitstechnische Standards weitgehend vorgegeben. Gerade im Zusammenhang mit der EU-DSGVO sind aktuelle Anforderungen genau zu prüfen.
- Ob Auswertungen, Statistiken, Berichte und Kennzahlen zu den grundlegenden Funktionen von Bewerbermanagement-Systemen gehören, darüber kann man sicher diskutieren. Die Besetzung von Stellen ist auch ohne möglich. Allerdings sind aggregierte Informationen sehr wichtig, um zum einen die Recruiting-Leistung zu monitoren. Zum anderen sind sie die Basis, um Anpassungsbedarf frühzeitig zu erkennen. Beides spielt direkt mit der kontinuierlichen Recruiting-Optimierung zusammen.
Besondere Funktionen bei Bewerbermanagement-Systemen
- Als besagtes Mindmap vor über 10 Jahren entstand, gab es auch schon Funktionen, die über das grundlegende Bewerbermanagement hinausgingen. Für Personaldienstleister waren auch damals schon die Mandantenfähigkeit sowie die Möglichkeit zur Kundenverwaltung (CRM Funktionen) wichtig.
- Auch die Funktion, eine Karriereseite mit Jobbörse und Bewerberportal aus dem Bewerbermanagementsystem zu generieren war bereits Thema, wenn auch die Bedeutung in den letzten Jahren gewaltig zugenommen hat.
- Recht neu ist dagegen das Thema sogenannter intelligenter Technologien, bei denen insbesondere zwei Stoßrichtungen ausgemacht werden können. Die eine nutzt Daten zur Analyse, wo Bewerber am besten erreicht werden können und steuert auf diese Weise Multipostings zu den vakanten Stellen.
- Die andere ist die Nutzung der sog. KI (Künstliche Intelligenz oder auch AI für Artificial Intelligence) für das Matchen von Bewerbern, also zur Bestimmung, wie gut der Bewerber zu einer bestimmten Stelle passt. Zur schnellen Erfassung der Bewerberdaten spielen dazu auch mehr oder weniger intelligente Parsing-Systeme eine Rolle, die aus den Bewerberunterlagen automatisch relevante Informationen auslesen, die wiederum für das Matching genutzt werden können. Oft sind solche intelligenten Systeme kein integraler Bestandteil von Bewerbermanagement-Systemen. Deshalb sind dann i.d.R. Schnittstellen/ Interfaces/ Integrationen erforderlich.
- Die sind auch relevant, wenn es um die Einbindung von Testverfahren, Online-ACs oder auch Systemen zum Vergleich von Abschlussnoten geht. Das gilt für klassische kognitive und psychologische Tests, aber auch für Cultural-Fit-Checks.
- Auch eher neuer ist die One-Click-Bewerbung. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die komfortable Möglichkeit für Bewerber, sich über einen Klick mit dem typischerweise in einem der Business Netzwerke (Linkedin oder Xing) hinterlegten Profil zu bewerben. Der Vorteil: Der Erstkontakt ist für den Bewerber schnell und einfach, der Ball liegt im Feld des Recruiters. Ggf. können fehlende Informationen nachgefragt werden. Allerdings ist damit ein gezieltes Eingehen auf die ausgeschriebenen Stelle durch den Bewerber nicht möglich. Aber das Anschreiben, in dem typischerweise dieses konkrete Eingehen erfolgt, wird ja ohnehin zunehmend für irrelevant erklärt.
- Ein letzter Hinweis betrifft Google for Jobs. Seit Google im letzten Jahr in den ersten Ländern aktiv wurde, wird jede neue Information, jedes hinkommende Land umgehend zur Sensibilisierung für das Thema aufgegriffen. Aktuell ist noch offen, wann Google for Jobs nach Deutschland kommt. Aber klar dürfte sein, dass es kommt. Und weil die erforderlichen Schritte zur gezielten Nutzung bereits klar definiert sind, können Unternehmen ihre Stellenangebote und deren Google-API konforme Bereitstellung frühzeitig vorbereiten. Und das ist dann auch ein Thema für Bewerbermanagement-Systeme.
Vieles ist möglich, aber worauf sollte man achten?
Immer wieder lese ich dies oder ähnliches: “Durch den Einsatz unserer Software optimieren Sie Ihre Prozesse, die Ziele werden schneller erreicht und alle sind zufrieden.” Die Realität zeigt leider oft ein anderes Bild. Die Zufriedenheit mit den Systemen lässt auf Anwenderseite in vielen Fällen zu wünschen übrig. Da passen die in der Software eingestellten Abläufe nicht zu den in der Realität gelebten Prozesse. Von Anwendern erwartete selbstverständliche Funktionen sind schlichtweg nicht vorhanden. Erforderliche Datenübernahmen oder Systemanbindungen funktionieren nicht wie erhofft … Die Gründe für Unzufriedenheit sind vielfältig und nicht zuletzt gibt es auch beim Einsatz von Bewerbermanagement-Systemen den Faktor Mensch, der nicht immer voller Begeisterung auf Änderungen reagiert.
So lange nicht alle Unternehmen genau auf die gleiche Art und Weise Personalsuche, Personalauswahl und Personalcontrolling betreiben, ist es nicht möglich, das für alle perfekte Bewerbermanagement-System zu deklarieren. Und genau deshalb ist in erster Linie wichtig, dass ein Bewerbermanagement-System zum Unternehmen und den dort aktuellen und künftig geplanten Recruiting-Prozessen passt.
Zu glauben, dass mit einem BMS ganz nebenbei sich das Recruiting von selbst optimiert, ist also ein Trugschluss. Recruiting-Optimierung ist grundsätzlich ein laufender Prozess und zunächst einmal unabhängig von eingesetzten Tools und Technologien. Daher: Vor Anschaffung oder Neubewertung eines BMS das eigene Recruiting kritisch ansehen, aktuelle Optimierungspotenziale identifizieren und umsetzen bzw. deren Umsetzung in die Zukunft planen. Und dann überlegen, an welchen Stellen ein Bewerbermanagement-System das Recruiting jetzt und künftig sinnvoll unterstützen und entlasten kann.
Dies setzt allerdings voraus, dass man einen Überblick über die grundlegenden und besonderen Funktionen von Bewerbermanagement-Systemen hat und mit den Begrifflichkeiten der verschiedenen Features etwas anzufangen weiß. So werden Anforderungen des eigenen Unternehmens an ein BMS spezifiziert, mit denen nach einem passenden Bewerbermanagement-System gesucht werden oder die Verbesserung eines bestehenden BMS verhandelt werden kann. In beiden Szenarien ist es wichtig, auf Augenhöhe mit den System-Anbietern zu sprechen und deutlich zu machen, was man möchte und braucht. Oder auch die eingangs an uns gestellte Frage zu präzisieren, so dass wir ggf. auch eine Empfehlung geben können. Dies reduziert die o.g. Unzufriedenheiten in der Praxis und hilft obendrein auch eine Kosten-Nutzen-optimierte Auswahl zu treffen.
Bewerbermanagement-Systeme – ein Muss?
Eins vorweg – Recruiting wird nicht erst durch den Einsatz von Bewerbermanagement-Systemen möglich. So wie auch Briefe ohne ein Textverarbeitungsprogramm geschrieben werden können, ist auch die Besetzung einer Stelle ohne die entsprechende Spezialanwendung möglich. Allerdings ist es ähnlich wie mit dem Briefeschreiben – ist alles gut vorbereitet und voreingestellt, erleichtert und beschleunigt die Spezialanwendung das Tun erheblich und ermöglicht die Konzentration auf das Wesentliche.
Bereits durch die grundlegenden Funktionen erleichtern Bewerbermanagement-Systeme das Recruiting so sehr, dass ich die Frage nach dem “Muss” nur mit einem “Ja, sicher” beantworten kann. Auch die sinnvolle Anbindung weiterer Verfahren, ob nun zur Unterstützung der Stellenausschreibung oder zur (multimodalen) Personalauswahl braucht ein zentrales und offenes Bewerbermanagement-System, in dem die Informationen zusammengeführt werden. So werden Fehlerquellen reduziert, Verfahren beschleunigt und knappe Personal-Ressourcen von zeitfressenden Routinen zu inhaltlichen Aufgaben gelenkt.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.