Immer noch zu zögerlich zieht eine Gender Diversity in Deutschlands oberste Führungsetagen ein. Ein Grund dafür ist, dass die Entscheider in den Vorständen und Aufsichtsräten trotz Frauenquote das Thema Inclusion & Diversity (I&D) weiterhin eher als Selbstzweck denn als Notwendigkeit für ihren Unternehmenserfolg sehen. Warum das so ist und wie die führenden Unternehmen in Deutschland das Thema Vielfalt im Top-Management heute und in Zukunft sehen, hat Odgers Berndtson in seiner Inclusion & Diversity-Studie analysiert. Dafür befragte die Personalberatung Ende vergangenen Jahres 560 Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer:innen sowie Aufsichtsräte von zumeist mittelständischen Unternehmen. Die Studie basiert auf dem UK Leadership Diversity Report 2021, den Odgers Berndtson im Sommer 2021 in UK veröffentlicht hat. Der Vergleich der Länderstudien zeigt: Dem Willen zu mehr Gender Diversity fehlen konkrete Maßnahmen.
„Vielfalt – und das ist die gute Nachricht – wird an der Unternehmensspitze großgeschrieben, aber leider oft nur auf dem Papier. Zu uneins sind sich Deutschlands Führungskräfte bei den Grundfragen von Inklusion und Diversität,“ sagt Silvia Eggenweiler, Partnerin bei Odgers Berndtson.
I&D wird in den wenigsten Unternehmen mit klaren Zielvorgaben belegt und ist noch längst keine Chefsache, lautet ein Ergebnis der Studie.
„Auch wenn das Thema sehr wichtig geworden ist, es werden immer noch zu viele Kandidat:innen eingestellt, die zwar fachlich für Vorstandspositionen geeignet sind, denen aber häufig das Verständnis für Inklusion und Diversität fehlt“, ergänzt Christiane Pietsch, ebenfalls Partnerin der Personalberatung.
Das bestätigen auch Dreiviertel der Studienteilnehmer:innen.
Laut Studie ist es für die Top-Manager unklar, was mehr Diversität in den Führungsetagen verhindert. Es ist noch nicht einmal eindeutig, wer als divers anzusehen ist, noch, welche Gruppen unterrepräsentiert sind. So sehen etwa nur neun Prozent der Befragten Frauen als eine „Randgruppe“. Das mag daran liegen, dass Frauen ihrer Meinung nach im Vergleich zu anderen „Randgruppen“ am ehesten über konkrete Maßnahmenpläne für Führungsaufgaben gefördert werden. Die Hälfte der Befragten gab an, dass sie einen Maßnahmenplan im Unternehmen haben, um Frauen in Führungsteams zu rekrutieren. Immerhin noch rund 30 Prozent haben derartige Pläne für Personen unterschiedlicher ethischer Herkunft. Für LGBTQ+ gibt es nur in rund zwölf Prozent der Unternehmen Förderungsmaßnahmen.
Wie komplex die Auswahl der richtigen Fördermaßnahmen ist, zeigt das Beispiel der Förderung von Auslandserfahrung. Zwei Drittel der Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer:innen bestätigen zwar, dass Frauen durch einen beruflichen Aufenthalt im Ausland bessere Chancen auf eine Position im Führungsteam haben. Zugleich geben 72 Prozent an, dass sie es für irrelevant halten, geeigneten Frauen bevorzugt eine Expatriat-Stelle anzubieten.
„Im Sinne der Gleichberechtigung von Mann und Frau sollten Frauen nicht grundlos bevorzugt werden. Aber mit Blick auf die Familie ist es wünschenswert, dass Frauen, die mit ihrer Familie eine Expatriat-Stelle antreten möchten, hier besonders gefördert werden. Denn sie müssen größeres Engagement beweisen und ihre Expat-Zeit gut organisieren“, meint Katja Hartert, Partnerin bei Odgers Berndtson.
Dieser Ansicht sind auch 40 Prozent der Studienteilnehmer:innen. Ebenfalls 40 Prozent stimmen dem nicht zu. 20 Prozent sind unentschlossen.
Die Macht der unbewussten Vorurteile („unconscious bias“) ist ein weiterer Aspekt, den die Befragten als Grund gegen mehr Gender Diversity angeben. 70 Prozent bestätigen, dass dies neben mangelnder fachlicher Qualität durchaus ein Kriterium bei der Entscheidung gegen eine:n Kandidat:in sei. Bei der Besetzung von Führungs- und Vorstandspositionen sind Programme zur Verringerung von Vorurteilen in deutschen Unternehmen in der Tat eine Option – jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. Nach Meinung der Aufsichtsratsmitglieder werden sie tatsächlich zu 50 Prozent beim Recruiting eingesetzt. Jedoch nur bei 30 Prozent der Vorstandspositionen. Die Vorstandsmitglieder und Führungskräfte sind hier skeptischer. Sie meinen, dass derartige Programme nur bei jeder fünften Vorstandsposition und nur zu 30 Prozent bei der Besetzung der oberen Führungspositionen eingesetzt werden.
In seiner I&D-Studie hat Odgers Berndtson auch die Rolle eines möglichen Chief Diversity Officers (CDO) abgefragt. Dabei wird deutlich, dass die Aufgaben eines CDO immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dass es dafür aber in der Organisationsmatrix einer konkreten Position des CDO bedarf, wird mehrheitlich abgelehnt. Nur 30 Prozent der Führungskräfte sind der Meinung, dass alle Organisationen mit mehr als 500 Mitarbeitern die Position eines CDOs haben sollten. Zweidrittel sind gleichwohl dafür, dass seine Aufgaben über Vorstandspositionen mehrheitlich über eine:n HR-Chef:in – oder den Chief Procurement Officer (CPO) abgedeckt werden soll.
„Solange in den Führungsebenen keine Einigkeit darüber herrscht, welche Herausforderungen angegangen werden müssen, damit mehr Vielfalt in die Führung gelangt, werden auch keine konkreten Maßnahmen getroffen werden. Unsere Studie hat deutlich gezeigt, dass den Unternehmen in Deutschland ein klarer Kompass fehlt“, erklärt Veronika Ulbort, Partnerin der Personalberatung.
Die Inclusion & Diversity Studie für Deutschland finden Sie hier zum Download.