Der Ausbildungsmarkt in Deutschland steht vor einem bedeutenden Wendepunkt: Im Jahr 2023 wurden mehr neue Ausbildungsverträge abgeschlossen als in den Jahren zuvor. Trotz dieses Anstiegs ist der Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen auf ein Rekordhoch gestiegen. Mehr als ein Drittel der angebotenen Ausbildungsplätze blieb unbesetzt – so viele wie nie zuvor. Dieser Beitrag beleuchtet die Hintergründe und Ursachen dieser Entwicklung, basierend auf den Ergebnissen einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Deutlicher Anstieg unbesetzter Ausbildungsstellen
Laut der IAB-Studie konnten 2023 insgesamt 35 Prozent aller Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Im Vergleich: Im Jahr 2010 lag die Quote noch bei 15 Prozent. Diese Entwicklung zeigt, dass der Mangel an passenden Bewerbungen zu einem zentralen Problem für Unternehmen geworden ist. Besonders betroffen sind Kleinstbetriebe, die 57 Prozent ihrer Ausbildungsplätze unbesetzt lassen mussten, während Großbetriebe mit einer Nichtbesetzungsquote von 12 Prozent deutlich besser abschneiden.
Regionale Unterschiede und Branchen mit den größten Herausforderungen
Die Nichtbesetzungsquote variiert zudem regional: In Westdeutschland war sie etwas niedriger als in Ostdeutschland. Auch innerhalb der verschiedenen Branchen gibt es deutliche Unterschiede. Die größten Schwierigkeiten, geeignete Auszubildende zu finden, haben Betriebe im Baugewerbe und in den personenbezogenen Dienstleistungen, wie dem Friseurgewerbe. Hier blieb fast die Hälfte aller Ausbildungsplätze unbesetzt. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Rekrutierungsprobleme mittlerweile nahezu alle Segmente des Ausbildungsmarkts erreicht haben.
Gründe für die hohe Anzahl unbesetzter Ausbildungsstellen
Ein zentraler Grund für die vielen unbesetzten Ausbildungsstellen ist der Mangel an geeigneten Bewerbungen. Rund 50 Prozent der Unternehmen geben an, dass sie ihre Stellen mangels passender Kandidaten nicht besetzen konnten. Aber auch strukturelle Probleme tragen zu dieser Entwicklung bei: Wenig attraktive Arbeitsbedingungen und das oft schlechte Image mancher Ausbildungsberufe spielen aus Sicht der Betriebe eine wesentliche Rolle. Diese Probleme sind jedoch nicht neu, sondern haben sich im Laufe der letzten Jahre verschärft.
Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität von Ausbildungsberufen
Um die Attraktivität der Ausbildung zu erhöhen, greifen Betriebe vermehrt zu Prämien und Sonderzahlungen. So bieten 62 Prozent aller Betriebe, die 2023 Ausbildungsstellen anboten, Zusatzleistungen wie Prämien bei bestandenen Prüfungen oder Urlaubs- und Weihnachtsgeld an. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, den Auszubildenden zusätzliche Anreize zu bieten und damit die Attraktivität der Ausbildungsstellen zu steigern.
Vom Arbeitgeber- zum Bewerbermarkt: Ein Paradigmenwechsel
Die Studie des IAB zeigt deutlich, dass sich der Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren von einem Arbeitgeber- zu einem Bewerbermarkt entwickelt hat. Das bedeutet, dass nicht mehr die Arbeitgeber die Auswahl aus einer Vielzahl von Bewerbern haben, sondern die Bewerber zunehmend zwischen verschiedenen Angeboten wählen können. Dieser Wandel wird durch den Fachkräftemangel noch verstärkt, der durch eine sinkende Zahl von Bewerbern bei gleichzeitig hohem Ausbildungsstellenangebot ausgelöst wurde.
Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt
Neben den vielen unbesetzten Ausbildungsstellen gibt es auf der anderen Seite auch eine wachsende Zahl von Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden. Diese Passungsprobleme zeigen, dass Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt nicht mehr optimal aufeinander abgestimmt sind. Es gibt eine steigende Zahl von jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, obwohl zahlreiche Ausbildungsplätze frei bleiben. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, da sie langfristig den Fachkräftemangel weiter verschärfen könnte.
Handlungsbedarf und Perspektiven für die Zukunft
Die Ergebnisse der IAB-Studie machen deutlich, dass der Ausbildungsmarkt vor großen Herausforderungen steht. Die Rekordzahl an unbesetzten Ausbildungsstellen und die gleichzeitig steigende Zahl unversorgter Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerber sind alarmierende Zeichen, dass das System nicht mehr funktioniert wie früher. Es ist dringend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um die Attraktivität der Ausbildungsberufe zu steigern und die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt zu lösen.
Dabei ist es entscheidend, dass nicht nur die Betriebe ihre Angebote verbessern, sondern auch das allgemeine Image der dualen Ausbildung gestärkt wird. Denn nur so kann langfristig sichergestellt werden, dass ausreichend qualifizierte Fachkräfte für die Zukunft bereitstehen. Die Herausforderungen sind groß, aber mit gezielten Maßnahmen und einer gemeinsamen Anstrengung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft können die Probleme bewältigt werden.