“Ist das nicht ein bisschen zuviel des Guten, für die Auswahl von telefonischen Kundenberatern ACs durchzuführen?” fragte mich ein Unternehmensvertreter eines Service-Centers. Auf den ersten Blick vielleicht. Aber die Erfahrung zeigt: mit klassischen Vorstellungsgesprächen kann man zwar – vorausgesetzt man kennt sich mit professionellen Interviewtechniken aus – einiges über das Verhalten in erfolgskritischen Arbeitssituationen herausfinden. Aber es bleibt immer bei Beschreibungen von Kandidaten, wie sie in bestimmten Situationen gehandelt haben oder handeln würden. Versetzt man aber Kandidaten im Rahmen von Assessment-Centern in genau solche Situationen, ist konkret zu beobachten, wie sie handeln.
Licht und Schatten von ACs
Daraus lässt sich ableiten, welche Fähigkeiten der Einzelne mitbringt sowie an welcher Stelle und in welchem Umfang Entwicklungsbedarf besteht. So lassen sich nicht nur Fehlauswahlen reduzieren, sondern auch Einarbeitungen zügiger und Qualifizierungsmaßnahmen punktgenauer durchführen.
Klar ist aber auch, dass diese Vorteile nicht umsonst zu haben sind. Die professionelle Entwicklung aufgabenspezifischer und anspruchsvoller ACs kostet Zeit und Geld und auch für die Durchführung müssen Ressourcen bereitgestellt werden. Daher sind Assessment Center insbesondere für Stellen zu empfehlen, bei denen aktuell oder in absehbarer Zeit mehrere Vakanzen zu besetzen und/oder die Folgekosten (Qualifizierungsinvestitionen, Ausfallrisiko) hoch sind. Außerdem eignen sie sich für Aufgabenfelder, in denen bestimmte überfachliche Kompetenzen und insbesondere kommunikative Fähigkeiten für den Berufserfolg und die Außenwirkung des Unternehmens wichtig sind.
ACs nicht für jede Stelle, aber für viele geeignet
Ein Aufgabenfeld, für das Assessment Center sich als hilfreich erwiesen haben, ist der Bereich Kundenbetreuung/ Vertrieb. Hier geht es längst nicht mehr nur darum, einfache Antworten auf Standardfragen zu geben oder ein Standardprodukt mit drei guten Argumenten an den Mann/ die Frau zu bringen. Vielmehr ist zunehmend ein individueller und wertschätzender Kundendialog gefordert, der vielfältige Kommunikationsfähigkeiten benötigt.
Auch im Assistenzbereich weht vielerorts ein anderer Wind: die hier eingesetzten Fachkräfte übernehmen häufig vielfältige Büromanagement- und Organisationsaufgaben, sind Interaktionsschnittstellen nach außen und innen und müssen dabei zunehmend technische Hilfsmittel und Fremdsprachen kompetent anwenden.
Und auch die Aufgaben im sogenannten Verwaltungsbereich gehen längst weit über Administrationsaufgaben hinaus, haben viel mit Beratung und mit Kommunikation zu tun und setzen zunehmend eine hohe technologische Affinität voraus. Ein schönes Beispiel dafür sind Stellen im Personalbereich.
Passende AC-Aufgaben für die jeweilige Stelle
Gerade wenn man zeitlich komprimiert die Passung für eine Stelle prüfen möchte, müssen die ausgewählten Aufgaben/Situationen möglichst gut zum jeweiligen Arbeitsfeld passen und den Grundsätzen professioneller ACs folgen. Hier ein paar Beispiele, die sich bewährt haben:
Position | Beispiele für jobbezogene Übungen |
---|---|
Kundenbetreuer | Postkorb mit typischen Kunden- und Teamthemen, Auskunfts-, Beschwerde- oder Inkasso-Situation als Rollenspiel, Korrespondenzübung, Persönlichkeitstest |
Vertriebler | Postkorb mit diversen Vertriebsorganisations- und Kundenthemen, Verkaufs-, Nachfass-, Beschwerde- und/ oder Storno-Situation als Rollenspiel, Persönlichkeitstest |
Assistenz | Postkorb mit klassischen Sekretariats-/Assistenzthemen, Korrespondenz-Übung, Priorisierungs-/ Organisationsaufgabe, Fremdsprachentest |
Marketing/ PR | Postkorb mit Organisations- und Abstimmungsthemen, Fallstudie mit Präsentation, Redaktionsaufgabe, Veranstaltungsplanung |
Personaler/ Recruiter | Postkorb mit HR-Betreuungs- und Organisationsthemen, Rollenspiel eines Bewerbungs- bzw. Mitarbeitergesprächs oder/ und eines Beratungsgesprächs mit Führungskraft/ Auftraggeber, Fachwissentest, Fallstudie mit Präsentation |
Was es bei der Entwicklung von AC-Übungen zu beachten gilt
In der Praxis kann man oft erleben, dass die Vorteile von ACs durchaus überzeugen. Aber um Kosten zu sparen, werden dann Übungen aus Drittquellen kopiert und/ oder unerfahrene Praktikanten oder Berufseinsteiger mit der Aufgabe betraut, doch mal etwas zu entwickeln. Auch an der Beobachterschulung wird gerne gespart – übrigens oft nicht nur aus Kostengründen, sondern weil man teilnehmenden Führungskräften ausreichend Personalauswahlkompetenz zuschreibt oder sie nicht kompromittieren will. Dieses “Sparen” bzw. “Rücksichtnehmen” geht leider oft nach hinten los. Wenn die Qualität der Auswahlergebnisse enttäuscht oder kritische Kommentare von Kandidaten publik werden, wird das Verfahren an sich schnell wieder in Frage gestellt wird.
Um eine gute Auswahlqualität mit ACs zu erreichen, sollten
- die Übungen realitätsnah und passend zum Aufgabenfeld und dem Unternehmen sein,
- multimodale Aufgabenstellungen/Methoden eingesetzt werden,
- Anforderungen und Verhaltensanker vorab klar definiert werden,
- Anforderungen mehrfach geprüft werden
- Beobachter mit dem Verfahren vertraut sein
- … Was man sonst noch bei der Erstellung von AC-Übungen beachten sollte, dazu hatten wir bereits vor einiger Zeit diesen Blogbeitrag verfasst.
Erfahrungsgemäß bringen bereits sogenannte Mini-AC´s – das sind halb- bis eintägige Veranstaltungen mit ca. 3-5 Übungen je nach Teilnehmerumfang – erhebliche Mehrwerte. Wie gesagt: vorausgesetzt sie sind professionell aufgesetzt und durchgeführt.
Dann kann man z. B. innerhalb weniger Monate den personellen Aufbau eines Kunden-Service-Centers sicherstellen, den Umbau eines Vertriebsbereichs erfolgreich begleiten oder beim Ausbau eines Personaldienstleisters dazu beitragen, dass ein Team rekrutiert wird, das die künftigen Aufgaben erfolgreich managen kann. Und das ist keine Theorie, sondern unsere eigene Praxiserfahrung.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.